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  • AutorenbildMichael Baumann

Zusammenfassung VII bis VIII

Zusammenfassung 4: Jesus – eine Weltgeschichte; Markus Spieker



Kapitel VII: Gegenwind

Jesus ist nicht per se der Friedensbringer, sondern schürt offen Konflikte. Es geht um die Machtfrage. Ganz offensichtlich geht es Jesus nicht um den Mainstream, nicht um gesellschaftliche Anerkennung und Stimmenfang – hier könnte gerade die Landeskirche lernen! Die (heute völlig unpopulären) Machtzeichen lassen das erahnen: Die Stillung des Seesturms, Dämonenaustreibungen, die Speisung der Fünftausend und schliesslich die Verklärung auf dem Berg. Alles äusserst widerständige, unmoderne Zeichen, die eher die Feindschaft der etablierten Kreise gegenüber Jesus fördern, als die Anerkennung der Massen.


1. Herr über die Naturgewalten (S. 378ff.):

Die Stillung des Sturmes in der Deutung Bonhoeffers (1933) ist der Kampf des (unmetaphysischen) Bösen gegen den Menschen, gegen Gott und das Gute. Die Jünger stehen in Todesangst. Sie denken gar nicht daran, sich an Bibelverse und die Religion zu halten, sondern kämpfen um die Existenz. Jesus jedoch stillt den Sturm kraft seiner Person und Autorität mit dem Wort: Ruhe! Diese Handlung steht aller rationalistischen Deutung im Weg.


2. Die Heilung des Besessenen (S. 380ff.):

Offensichtlich sind Exorzismen sowohl im Judentum wie auch im Heidentum nichts exotisches. Wo genau die Trennlinie verläuft zwischen materiell und immateriell ist nicht klar. Hilfreich könnten zB Quervergleiche sein zu rezentem Hexentum in Afrika. Offensichtlich ereignet sich die Teufelsaustreibung in fremden Gebiet (Gedara). Dort hat sich eine ganze Armee von Dämonen in einen namenlosen Besessenen eingenistet. Die Evangelien versuchen überhaupt keine Erklärung dieser Tatsache. Und die Dämonen äussern sich auch nur zahlenmässig – ihr Name ist Legion und sie bitten Jesus, sie ziehen zu lassen. Darauf folgt die Wiederauferweckung der Tochter des Jairus. Jesus zeigt sich damit in dreifacher Gestalt als Herrscher über die Naturgewalten, über die destruktiven Mächte sowie über den Tod.


3. Herodes Antipas (S. 382ff.)

Hier steht der Konflikt zwischen Johannes dem Täufer und der Sippe rund um Herodes Antipas im Zentrum. Die Evangelien schildern die Nachfolger von Herodes d.Gr. allesamt als dekadente und im Machtgefüge Roms vermutlich bestenfalls dienstfertige, wenn nicht sogar hinderliche oder störende Steigbügelhalter. Aber sie bilden eine Art Cordon sanitaire vor den noch unberechenbareren Stämmen im Osten. Der Konflikt eskaliert zwischen Johannes und seiner radikal-jüdischen Anhängerschaft sowie dem dekadenten Adelsgeschlecht. Am Schluss ist Johannes hingerichtet und interessanterweise reagiert Jesus und seine Jünger. Die Frage ist für mich hier: warum berichten die Evangelien die historisch marginale Episode überhaupt? Es kann nicht um das Geschlecht der Herodianer gehen, sie sind relativ betrachtet unwichtig. Die Evangelisten deuten Johannes als Propheten in der Tradition des AT. So bildet Johannes eine Art Scharnier zwischen den beiden Teilen der Bibel. Sein Protest hätte sich auch gegen Rom richten können, er ist ein Gottesknecht, der seine Mission mit dem Leben bezahlt. Er ist aber nicht Gottes Sohn und nicht ein göttlicher Mensch. So zeigt sein Scheitern das Scheiter der Gerechtigkeit vor der Welt, mithin das Scheitern der Welt selbst. Der „Witz“ an der Episode ist dann vielleicht weniger der Hinweis auf den „Christus, der nach mir kommt“, sondern dass von den Herodianern überhaupt nur darum noch berichtet wird, weil Johannes sich im Namen des göttlichen Rechtes gegen sie anstemmte und dies mit seinem Leben bezeugte. Es ist das Scheitern der Welt in nuce – eigentlich das Scheitern des Schielens auf Macht, Einfluss, Relevanz, Gehör in der Welt etc.


4. Anti-Establishment (S. 38ff.)

Jesu grosse Mahlfeier wird zur Zeichenhandlung: Fünf Gerstenbrote und zwei Fische sollen für die gigantische Menge reichen. Dabei sind wiederum zwei Punkte wichtig: Zum einen üben sich die Evangelien überhaupt nicht in Erklärungen, wie das Wunder geschehen ist. Die Erklärung ist unerheblich. Es geht dabei nicht um Rationalisierung, nicht um eine Handlungsanweisung, angesichts von Knappheit und Hungersnot. Es zeigt in Jesus das Eingreifen Gottes. Der moderne „Umkehrschluss“ daraus abzuleiten, dass die Menge der Anwesenden einer kollektiven Suggestion anheim gefallen wären oder dass es überhaupt keine Rolle spielte, wer wieviel zu essen erhalten hätte, ist krud. Wunder bleibt eben darum Wunder, weil es sich der Erklärung entzieht und weil die Mehrheit (vermutlich nicht alle) da Gott am Werk erfahren. Zweitens zieht sich Jesus gleich anschliessend zurück und die Speisung gilt weder als Machtbeweis noch als etwas, das abundant wiederholt werden könnte. Es ist gerade einmalig.


5. Schluss mit lustig: Die Pharisäer (S. 394ff.)

Die Pharisäer sind die (von den Evangelisten vielleicht überzeichneten) Realisten. Vf. bemerkt richtig, dass nicht die Lehre oder der Glaube falsch ist, sondern die fehlende Liebe in der Umsetzung. Die Pharisäer sind die Verwalter. Gleichzeitig aber eben auch die, die auf die faktischen Machtverhältnisse schielen. Sie sind darum „schlimm“, weil sie grundsätzlich mit der Botschaft Gottes ernst machen – und nicht wie die Sadduzäer Hedonisten sind oder wie die Zeloten und Sikkarier politische Agitatoren. Die Pharisäer sind nicht säkular und innerweltlich, sondern glauben an Gott – aber sie tun es mit den Methoden der Welt. Sie sind auch keine Sekte wie die Essener, die sich für besser und erlöster halten. Von Jesus trennt sie quasi ein Lehrunterschied. Essener wären demnach häretisch – die pharisäer sind es gerade nicht. Nur ganz wenig würde genügen, dann wären sie Teil der Jesus-Bewegung. Dass dem so ist, lässt sich an der Biographie des Paulus ganz deutlich zeigen. Oder an der Person des Nikodemus, der eigentlich Jünger hätten sein wollen…Vf. verweist auf den Benimm-Katalog der Pharisäer und ihrer Fehlervermeidungstaktik. Sie sind theo-politisch überaus korrekt. Und gerade das ist ihr Untergang – wohingegen dank ihnen überhaupt das Judentum dann nach der Zerstörung des Tempels überlebt.

Jesus exemplifiziert das am sowohl theologisch wie politisch bedeutsamen Fall der Ehebrecherin, die gesteinigt werden sollte. Hier mischt sich Gottes Recht und Politik ein – Lebensrecht v/s Moral. Dass die Frau sowohl gegenüber Mensch wie Gott falsch gehandelt hat, steht ausser Frage. Gewiss ist die Situation holzschnittartig. Doch damit wird gezeigt, dass Jesus im gleichen Mass, wie er für das absolute Recht Gottes über Natur und Mächte sich auch für das Lebensrecht einsetzt. Die Pharisäer deuten das hingegen innerweltlich falsch und argwöhnen, er stehe selbst mit Dämonen im Bund. Nur so lässt sich erklären, dass Jesus massiv gegen die „Sünde wider den Heiligen Geist“ auftritt, was letztlich nichts anderes als das fundamentale Lebensrecht meint.


6. Familienstreit (S. 402ff.)

Interessant ist, dass ganz offensichtlich innerfamiliär nicht alle hinter Jesus stehen. Die völlige Vereinnahmung durch seine Mission und seinen Auftrag durchlöchert offenbar sogar die eigenen Familienbande. Die Ernsthaftigkeit, mit der Jesus sich auf die anderen Menschen und Gott einlässt erkauft er mit einem existentiell hohen Preis.


7. Die Zweifel des Täufers (S. 404ff.)

Etwas eigenartig, dass die Zweifel des Täufers nach dessen Hinrichtung zur Sprahe kommen… Dem entspricht, dass sogar der Prophet, der an der Schnittstelle zwischen dem AT und dem NT steht, an Jesus zweifelt. Und ganz offensichtlich waren die Johannes-Jünger nicht weniger wert oder weniger machtvoll als die Jesus-Jünger. Die leicht verstörende Rede an die Johannes-Jünger zeigt, dass Johannes nicht „falsch“ oder „weniger wert“ wäre als Jesus, aber dass sie nicht in der gleichen Sprache sprechen: Der Prophet verweist, kündet an, mahnt und lehrt. Er ist in dieser Welt. Er tritt existentiell für seine Lehre ein. Jesus verkörpert Gottes Eingreifen in die Welt.


8. Pontius Pilatus (S. 406ff.)

Vf. verweist witzigerweise auf die Wahrnehmung der Pax Romana auf der einen Seite und der realen Politik der steten Machtkämpfe an der Peripherie des röm. Reiches auf der anderen Seite. Pilatus wird als Machtpolitiker und römischer Emporkömling geschildert, der sich dann aber beinahe die Zähne an Jerusalem ausbeisst. Ganz offensichtlich hat auch er nicht mit der gefestigten jüdischen Bevölkerung gerechnet, die trotz aller Grabenkämpfe und Unterschiede gegenüber den Besatzern deutlich auftreten konnte. Pilatus hat vermutlich die Juden nie verstanden und das auch gar nicht versucht. Judäa war für ein lediglich ein Karriereschritt.


9. Kaiphas (S. 411ff.)

Vf. schildert zuerst die verschiedenen Aufgaben des Hohepriesters und v.a. seine Rolle als Identifikationsfigur. Während Jahrzehnten waren die Hohepriester aus der gleichen Familie. Komplex waren die Vorgänge und Zuständigkeiten, nach welchen der Hohepriester von den machthabenden Römern eingesetzt wurden – nachdem das vorher zwar der König, eigentlich aber nach dem AT Gott durch Salbung hätte tun müssen. Jedenfalls müssen die Hohepriester sowohl machtklug wie auch realpolitisch gewieft gewesen sein, hätten sie sich sonst nicht so lange an der Macht halten können. Joseph Ben Kaiphas muss derart viel Macht besessen haben, dass sogar Pilatus sich nicht getraut, ihn trotz diversen Konflikten vom Posten zu entfernen – zu gross wäre vermutlich das Risiko eines Aufstandes gewesen. Doch die Evangelien registrieren auch, dass implizit Gefahr von der Jesusbewegung droht.


10. Der sinkende Simon (S. 416ff.)

Simon Petrus fordert Jesus beim Gang über das Wasser heraus: Es ist die Mustererzählung über menschliche Hybris, Glaubensgefolgschaft und das Scheitern des Menschen. Vf. bilanziert, dass das Bekenntnis des Petrus, „Du bist wahrhaft Gottes Sohn“ das Zentrum der Handlung ist. Man könnte aber einwenden, dass vielleicht auch die Botschaft wäre, eben nicht an Gottes Stelle treten zu wollen.


11. „Du bist der Messias“ (S. 418ff.)

Das Petrusbekenntnis auf dem Hermon ist nicht zu unterschätzen: jenseits der historischen Bedeutung steht es für die Notwendigkeit, dass Gottes Einschreiten und sein Machterweis in der Welt auf Menschen angewiesen ist. Darum fragt Jesus seine Jünger, für wen ihn die Menschen halten. Und die Beauftragung an Petrus steht für das Vertrauen, dass sich Gott auf die Menschen verlassen will. Insofern ist die Stelle vermutlich wie der Taufbefehl zu interpretieren. Mit Recht stellt Vf. fest, dass Petrus ziemlich erschüttert reagiert, als er einerseits die Tradition weiter führen soll, andererseits aber mit seiner Einschätzung der Lage und dem Versuch, Jesu Leiden zu verhindern, gerade vor Jesus scheitert.


12. Die Verklärung (S. 424ff.)

Die Verklärung kurz danach ist die Steigerung: Auf der einen Seite Gottes Zuwenden und sein Erscheinen in und für die Welt, auf der anderen Seite der zweifelnde und reagieren Mensch, der gleichzeitig in die Nachfolge von Mose und Elias tritt. Traditionell gilt der Berg Tabor als Ort der Verklärung. Es könnte aber auch der Hermon gewesen sein. Dass zwei Seiten, menschliche und göttliche Wahrnehmung aufeinander prallen zeigt sich auch darin, dass die Jünger dort bleiben möchten und sich „einhäuseln“, währenddem Jesus die Episode recht schroff beendet.



Kapitel VIII: Kreuz und Krone

Das Kapitel VIII fokussiert wie unter einem Brennglas das Geschehen rund um das Passahfest in Jerusalem. Es entspricht somit dem Aufriss der Evangelien: Die Zeit verdichtet sich rund um die Passion Christi von einigen Tagen bis dann zu Stunden und Minuten. In Jerusalem versammeln sich in diesen Tagen alle wichtigen Personen. Strecken, Räume, Häuser und Orte werden als bekannt vorausgesetzt.


1. Auf dem Weg nach Jerusalem – die Mühen der Ebenen (S. 428ff.)

Die Jünger scheitern, wenn sie Jesus imitieren wollen. Das wird klar bei der Schilderung des missglückten Exorzismus. Aber auch andere scheitern. Doch interessanterweise lässt sich Jesus nicht auf eine Form der Hierarchisierung ein: Weder verbietet er die Exorzismen, noch stellt er die Jünger über andere. Welt bleibt Welt. Darauf hin deutet auch Jesu Gleichnis vom König und den anvertrauten Talenten. Doch trotz dem weltgefälligen Wirtschaften vertritt Jesus nicht die Idee, dass der weltliche Erfolg entscheidend ist – in Jerusalem erwartet ihn Leiden und der Tod. Das müsste den charismatischen Interpreten von Jesus (in den Südhemisphären-Ländern und in gewissen Freikirchen) immer wieder gesagt werden.


2. Rangstreitigkeiten (S. 432ff.)

Trotz mehrfachen Versuchen begreifen aber die Jünger immer noch nicht – sie konzentrieren sich auf irdische und dann auf jenseitige Ränge und Rangstreitigkeiten. Vf. interpretiert auch die Berufung / Kehre des Zachäus in dieser Richtung. Jesus kehrt beim „grossen Sünder“ ein und bewegt ihn zur Umkehr. Sein Handeln zeigt, mit Gottes Eingreifen kann in der Welt nicht gerechnet werden. Jesus selbst handelt allen Erwartungen immer wieder entgegen.

Sogar die eigenen Mutter kann für die beiden Söhne Johannes und Jakobus nichts ausrichten. Wenn Nietzsche recht hatte mit dem Gedanken der Umwertung aller Werte, so lag er falsch in der Ansetzung. Nicht der Übermensch wertet um, Jesus hat in seiner Predigt und seinem Handeln bereits alle Werte gekehrt. Insofern war das 19. Jhdt. Philosophisch ein schaler Abklatsch der Bibelforschung seiner Zeit. Man müsste bloss die Evangelien unvoreingenommen lesen, so wären die Gedanken einer alle Erwartung überbietenden Moral bereits vorhanden.


3. Das siebte Zeichen und der Einzug in Jerusalem (S. 437ff.)

Unmittelbar vor der Karwoche folgt die Auferstehung des Lazarus. Johannes führt dieses Wunder als das siebte ein. Im Unterschied zum Wunder bei der (nicht ganz) verstorbenen Tochter des Synagogenvorstehers Jairus lässt sich Jesus beim Bruder von Martha und Maria offenbar Zeit. Und damit risikiert er in der Darstellung von Johannes auch den Bruch mit Maria und Martha. Wie um die Situation als völlig aussichtslos zu charakterisieren fällt auch Jesus selbst in tiefe Trauer. In dieser Welt lässt sich für Lazarus ganz offensichtlich nichts mehr machen.

Erst als sich sogar die Dorfbewohner von Jesus distanzieren und er mit den beiden Schwester allein bleibt – wo sind die Jünger? – also in völliger existentieller Einsamkeit – ruft er (stellvertretend für Gott?) nach Lazarus. Er erscheint, doch wird das Aussehen von Lazarus nicht geschildert. Die Begebenheit bleibt merkwürdig geisterhaft, löst aber doch im Tempel Unerhörtes aus. Dass Lazarus kurz darauf dann wieder sterben muss, kann eigentlich nicht erstaunen. Die Auferweckung war etwas, das alle Kategorien sprengt. Und interessanterweise wird die Auferweckung neutestamentlich nicht als Beweis für Jesu göttliche Herkunft gedeutet, sondern umgekehrt im Prinzip als Konsequenz. Johannes denkt nicht von der Tat (als Beweis) her in Richtung Jesu, sondern das Wunder ist die folgerichtige Konsequenz von Jesu göttlicher Herkunft.

Dem entspricht, dass darauf die Salbung durch Maria folgt. Maria salbt weder aus Dankbarkeit noch weil sie etwas bewirken will, sondern weil Jesus der Gesalbte ist (der Messias) ist. Dass das dem innerweltlichen Konzept einer „besseren Gerechtigkeit“ oder der sozialreformerischen Gesinnung der Jünger widerspricht, ist klar.

Doch Jesus entgegnet, dass das Karitative nicht vor dem Geistlichen Vorrang habe (S. 442), sondern umgekehrt, die Liebestat wenn schon aus dem Glauben zu erfolgen hat.

Die beiden Zeichenhandlungen stehen unmittelbar vor dem Einzug in Jerusalem. Der Einzug ist an Palmsonntag in Anlehnung an Ps 118 konzipiert, wobei wunderschön gezeigt wird, dass die Leute in Jerusalem jemanden anderen erwarten, als der dann kommt und die Pharisäer wiederum die Weltwirklichkeit zu ernst und damit komplett falsch interpretieren. Sogar die Jünger verstehen Jesu Wort, „jetzt ist die Zeit der Verherrlichung des Menschensohnes gekommen“ nicht.


4. Der Tempel bebt (S. 445ff.)

Auf die Verfluchung des Feigenbaumes beim Einzug in Jerusalem folgt als einzige Strafhandlung die Tempelreinigung. Die Tempelreinigung ist Kultkritik in Reinform. So erstaunt es nicht, dass die Evangelien darauf die sog. „Fangfragen“ der Pharisäer (Steuer) und der Sadduzäer (Auferstehung nach dem Tod) folgen lassen. Wer einen anderen Tempel und Kult fordert, muss den Bezug zur Welt und über die Welt hinaus erklären können. In beiden Fragen rekurriert Jesus auf die Grösse Gottes, dem weder die Welt noch die menschlichen Rechtsfragen etwas anhaben können. Eine Reihe von Gleichnissen illustrieren das: Der Weinbergbesitzer zeigt gigantische Langmut, bevor das Schicksal unerbittlich zuschlägt. Ebenso die Einladung zur Hochzeitsfeier, bei der die Eingeladenen fernbleiben und die entscheidende Gelegenheit verschenken. In beiden Fällen bleibt am Schluss der Tod der Welt zurück, verpasste Gelegenheit und damit verschenktes Leben. Das Beispiel der armen Witwe zeigt, dass eben gerade nicht die Welt, sondern das Herz und die Haltung entscheidend sind. Darum steht kurz vor der Gethsemane-Perikope das skandalöse Tempelwort, wo Jesus die ganze Enttäuschung über die Eigenen (seine Jünger, sein Volk, die Geretteten), die sein Wort nicht hören und verstehen wollen, hinein legt.

Ganz egal, wie man dieses interpretiert (drei Tage betreffen die Zeit von Jesu Tod bis zu seiner Auferstehung; drei Weltzeiten etc.), das apokalyptische Wort ist von drängender Aktualität: Nur wer unter dem Druck der schwindenden Zeit spricht, kann so reden. Darum gehört das Tempelwort unmittelbar zum Verrat an Jesus (Judas-Perikope) und zum Beschluss des hohen Rates, Jesus töten zu lassen. Auch wenn das historisch zwar wenig wahrscheinlich ist, passt es verständlich zum Bruch zwischen Jesus und den etablierten jüdischen Kreisen.


5. Das Abendmahl (S. 458ff.)

Wichtig die Feststellung: Fusswaschung und Abendmahl gehören sachlich zusammen. Es sind beides Liebeshandlungen, die Jesus, hier als das Sakrament selbst gedacht, zusammen bringen mit Menschen, die auf ihn hören, resp. ihm sein Gehör schenken, indem Jesus sich ihnen schenkt – bis auf die, die nicht hören können oder wollen. Es sind gleichzeitig aber auch Zeichenhandlungen, die auf eine Wirklichkeit verweisen, die sich nicht realiter ausmachen lässt. Darauf deutet die Antwort auf die Frage von Philippus: Bitte, zeig und den Vater (S. 463).

Allerdings bleibt die Abendmahlsperikope etwas „lau“ nacherzählt. Vielleicht liegt das darin, dass Vf. sich eher der Tradition der Pfingstkirchen zurechnet und er vermeiden will, dass das Abendmahl – obwohl als „Anteil“ an der Auferstehung verstanden – nicht zu sehr sakramental verstanden wird.


6. Jesus in Ketten (S. 463ff.)

Bevor die Jünger mit Jesus auf den Ölberg / Gethsemane gehen, singen sie Passalieder, vielleicht den Ps 118. Die Jünger sollten wachen; Jesus betet. Dreimal unterbricht er das Gebet, doch die Jünger nicken immer wieder ein. Vf. vergleicht eschatologisch das Schlafen der Jünger mit den schlafenden Jungfrauen in der Beispielerzählung. Doch der Schlaf ist dort nicht ein Fehlverhalten, wohingegen Jesus hier ausdrücklich zur Wachsamkeit rät. Hier ist der Schlaf das unvermeidlich und der Kuss des Judas das gewollte Böse. Sodann kommt es bei der Gefangennahme zu einem Handgemenge, in dessen Folge einem Landsknecht ein Ohr (Malchus) abgehauen wird. Vf. argumentiert, dass das Markus selbst gewesen sein könnte.


7. Jesus vor dem Hohepriester (S. 467ff.)

Vf. schildert den Prozess vor dem Hohepriester als Justizfarce, weil es auf den (mehr oder weniger im voraus beschlossenen) Vorwurf der Gotteslästerung hinaus laufen soll und darum dann Jesus an Pilatus überstellt wird.

Allerdings ist die Begründung m.E. auf dünnem Eis. Vf. resümiert einfach die biblische Perikope, die entschieden nicht ein historisches Dokument ist. Zum einen geht es theologisch um den Gegensatz zwischen dem erwarteten und offenbaren Messias und dem Volk, das diesen nicht sieht. Zum andern stellt weder das Messias-Bekenntnis noch Gotteslästerung eine Tat dar, die von den Römern in irgendeiner Form hätte sanktioniert werden sollen. Innerjüdische Glaubensquerelen haben die Römer nie interessiert. Im Gegenteil ist heute nach etlichen Untersuchungen davon auszugehen, dass gewisse Kreise Jesus sogar hätten retten wollen. Nur so ist verständlich, warum überhaupt der Zwischenschritt vor dem Hohepriester und dem Priesterrat eingeschaltet wird. Wäre Jesus einfach als Aufrührer verleumdet und den Römern zugespielt worden, hätten die kaum gezögert, ihn trotz seiner Popularität kurzerhand zu ermorden. Wenn jedoch jüdischerseits ein Interesse an Jesus bestand, dann spiegelt der theologisch umgeformte Scheinprozess eben gerade nicht unisono die jüdischen Vorbehalte, sondern das jüdische Eingreifen. Wir haben es hier vielleicht mit einer rückwirkenden Redaktion zu tun, denn nach Etablieren der ersten christlichen Gemeinden mussten sowohl von jüdischer wie auch von christlicher Seite her die Geschehnisse neu interpretiert und ins „rechte Licht“ gerückt werden.


8. Zum Kreuz (S. 474ff.)

Pilatus behält eine eigenartige Rolle: Einerseits gilt er in der Darstellung dem Vf. als willfähriger Gehilfe, andererseits ist er distanzierter Machtpolitiker. Andererseits schildern die Evangelien ihn als Gegenpol zu den Pharisäern und der Tempelclique. Darin eingeschlossen schilder Vf. die nur bei Lukas überlieferte Bemerkung, dass auch noch Herodes (Antipas) eine Kurz-Audienz von Jesus verlangt.

M.E. geht Vf. hier den Interessen der späteren Überlieferer auf den Leim, die den Lesern erklären mussten, warum sich die Judenchristen / judaisierenden Christen vom Hauptstrang des Judentums abgetrennt hatten. Historisch betrachtet macht es einfach keinen Sinn, Pilatus – der für seine Rücksichtslosigkeit und Grausamkeit bekannt war - human zu schildern. Letztlich wird Jesus auch von den Römern gekreuzigt. Und die Inschrift zeugt davon, dass dies ein politisches Exempel Roms war.

Im Gegenzug hätte der Tempelrat gewiss Jesus steinigen lassen können und hätte kaum mit dem Protest des Statthalters gerechnet.

Aus dem Rückblick und mit dem Wissen, dass sich sowohl die Juden wie auch die Christen gegenseitig ab 70 n.Chr. sich trennten, kann man dafür Verständnis aufbringen, dass nun plötzlich der Statthalter als letzte Rettung geschildert wird – und das Volk letztlich Jesus verflucht und den Mörder Barabbas vorzieht.


9. Via Dolorosa (S. 484ff.)

Jesus wird einen tödlichen Triumphzug der Machthaber entlang geführt bis zur Hinrichtungsstätte. Wie Isaak das Brennholz trug, so trägt Jesus das Kreuz. Doch letztlich geht Jesus praktisch allein, lediglich der bis dato unbekannte Simon von Kyrene erbarmt sich seiner und nach dem Johannesevangelium sein Lieblingsjünger.


10. Golgatha (S. 486ff.)

Mit Verweis auf Cicero und Seneca wird der Schrecken der Kreuzigung geschildert. Sie gilt als die schändlichste aller Hinrichtungsarten. Der Entwürdigung entspricht, dass Jesus die Kleider vom Leib gerissen werden und man darum das Los wirft.

Jesus stirbt nackt und wird bis zuletzt verspottet. Zwei kurze Episoden sind hier wichtig: Zum einen die Tatsache, dass nach den Evangelien zwei weitere Verurteilte rechts und links gekreuzigt werden, einer aber den Gottessohn als Retter erkennt. Zum andern, dass Jesus offenbar nicht wie der Gottesknecht bei Jesaja völlig stumm stirbt, sondern mit Gott ringt. Vielleicht hattJesus den Psalm 22 rezitiert, bevor er stirbt. Anschliessend reagiert die Natur den Evangelien nach mit Erdbeben, mit apokalyptischen Zeichen und der Tempelvorhang zerreisst.


11. Gedanken zum Kreuz (S. 497ff.)

Das Kreuz und der Tod Jesu ist der am besten dokumentierte Teil der Biographie von Jesus. „Christus, der gekreuzigte“ ist auch die Bezeichnung, die in den römischen Akten auftaucht.

Wichtig ist der Hinweis, dass Jesus nicht am Versöhnungstag stirbt, sondern kurz vor dem Passahfest und dieses das Fest des Bundes mit Gott ist – ohne Passah kein Auszug aus Ägypten. Ohne Auszug keine Landnahme und faktisch keine Geschichte Gottes mit seinem Volk.

Das Kapitel ist aber recht kurz. Hierbei referiert Vf. anschliessend summarisch dem Begriff nach verschiedene theologische Deutungslinien. Man müsste darüber sprechen, denn die blosse Erwähnung der sog. Satisfaktionslehre („Jesus stirbt für die Schuld der Menschen“) ist ohne das nötige Wissen über die Lehre der Kirchenväter und der Theologie des Mittelalters etwas spröde. Spannend wäre es gewesen, wenn Vf. die Linie weiter ausgezogen hätte und darüber nachgedacht, was es heisst, wenn Gott selbst sich dem menschlichen Leben ganz aussetzt und damit den Tod auch in Kauf nimmt. Was bedeutet das angesichts von Krieg und Leiden, Krankheit und faktischem Tod für den Gläubigen?


12. Totenstille (S. 501ff.)

Jesus wird kurz nach seinem Tod begraben. Das war nicht unbedingt üblich bei Kreuzigungen. Die Verurteilten liess man i.d.Rgl. hängen. Nun beginnt das wichtigste Fest und Jesus wird dank Joseph von Arimatäa in dessen eigenes Grab gelegt. Hier tut sich eine ganz eigene Spur auf, denn ausser dem Namen ist ganz wenig über diesen Joseph bekannt. Nur muss er offensichtlich eine höhere Stellung in Jerusalem innegehabt haben, ansonsten er sich kaum im voraus ein kostbares Grab hätte anlegen lassen können.




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