Dritter Teil: Freund und Helfer
Kapitel IX: Eine neue Hoffnung
Die Biographie von Jesus endet nicht an Karfreitag, sondern beginnt in der Wirkung recht erst. Das Entstehen des Christentums ist darum besonders, weil es als Religion nach dem Tod seines Stifters eigentlich gar nicht geben dürfte. Die ersten vierzig Jahre sind entscheidend und offenbar haben die Führungskräfte wenige Fehler gemacht.
Ohne weitere Hinweise von Jesus organisiert sich die Urkirche als "learning group" und durch "learning by doing".
Am Ende des ersten Jhdts. existiert nicht nur eine neue Religionsgruppe, sondern auch eine beeindruckend grosse Zahl von schriftlichen Berichten. U.a. die Evangelien. Um das Jahr 100 n.Chr. soll es etwas 10'000 Christen im ganzen Römischen Reich gegeben haben.
1. Auferstehung: Comeback für die Ewigkeit (S. 512ff.):
Vf. verweist darauf, dass Jesus seine Auferstehung angekündigt hat. Die Auferstehung, das leere Grab und das Erleben der Jünger ist eine hist. Tatsache. Keiner der ersten Christen ist von dieser Überzeugung je abgewichen. Sogar Paulus, der Jesus nicht lebend begegnet ist, setzt dies als Zentralinhalt des christlichen Glaubens fest. Die Auferstehung Christi ist zwar kontraintuitiv, aber nicht grundlos. Er starb vor Zeugen, wurde begraben und ist danach Jüngern und Jüngerinnen (!) erschienen. Gerade dass Jesus als Auferstandener Frauen zuerst erschienen ist, macht die Überlieferung glaubhaft: Wäre dies bloss erfunden worden, hätte es kaum einen Grund gegeben, nicht die wichtigsten Jünger zu den ersten Zeugen zu machen. Interessant ist auch, was nach der Auferstehung nicht passiert: Jesus zeigt sich nichtr seinen Gegenern; er verfasste keinen Nachlass und kein theologisches Testament; er verlässt die Seinen nach vierzig Tagen und stellt ihnen den Heiligen Geist in Aussicht.
2. Summer of Agape-Love: Pfingsten (S. 523ff.):
Das Pfingstfest wird zurecht als zentrales Ereignis nach Jesu Himmelfahrt gewertet: Die Jünger einigen sich; sie wählen den Ersatz für Judas und festigen so den 12er Kreis; sie gründen verbindlich eine Gemeinschaft, die nicht nur auf Jerusalem und den engsten Kreis um Jesus beschränkt ist (Sprachenwunder). Petrus tritt als Führerfigur auf. Geschichten wie die Bekehrung des Kämmerers aus Äthiopien durch Philippus demonstrieren die ersten Missionsereignisse.
3. Sie nannten sich Christen (S. 529ff.):
In Jerusalem bahnen sich die ersten Konflikte zwischen der jüdischen Tempelhierarchie und den Christen an. U.a. wird Stephanus gesteinigt, Saulus – der spätere Paulus – beteiligt sich indirekt daran. Stephanus gilt als erster Märtyrer der Christen. Auch Palästina als römisches Protektorat kommt nicht zur Ruhe. Gleichzeitig ereignen sich antijüdische Pogrome und Verfolgungen im Osten des Reiches. Die Römer provozieren die Juden u.a. dadurch, dass römische Götterstatuen in der Nähe jüdischer Heiligtümer aufgestellt werden.
4. Cornelius: Ein Römer bekommt den Heiligen Geist (S. 535ff.):
Die Christen sind von Anfang an missionarisch, sie sehen sich als Licht der Welt. Die Jünger vollbringen im Namen Jesu auch Wunder. Die Missionsoffensive ist neu – antike Religionen war in der Regel nicht missionarisch, eher abgeschlossen. Die Christen breiten sich auch geographisch über gigantische Distanzen aus, Thomas bis nach Indien. Petrus gilt zuerst als wichtigster Missionar. Seine Bekehrung des römischen Hauptmanns Cornelius ist ein Novum: Heiden gehören nun zu den Christen, nicht nur Juden. Gleichzeitig weist schon das frühe Christentum inhaltlich eine grosse Spannbreite auf: Mit dem Herrenbruder Jakobus etabliert sich in Jerusalem ein Zweig, der die jüd. Regeln und Gebote genau einhält.
5. Vom Hasser zum Heiligen: Paulus, der dreizehnte Apostel (S. 538ff.):
Paulus gilt als eigenständiges Phänomen. Als radikaler Pharisäer war er genau das Gegenteil der Jünger. Als Zeltmacher offenbar zu bescheidenem Wohlstand gekommen, erlebt er vor Damaskus eine Gottesoffenbarung. Er durchlebt die Wandlung vom Christenhasser zum glühenden Missionar und Theologen. Schon das hat in der Frühzeit des Christentums Fragezeichen ausgelöst.
Er bleibt Zeit seines Lebens aber ein unruhiger Geist und zieht mehrmals durch das damals bekannte römische Gebiet rund ums Mittelmeer. Die Ausbreitung des Christentums und v.a. die theologische Reflexion und Verkündigung sind ohne ihn kaum denkbar.
6. Der Beschneidungsgipfel (das Apostelkonzil) in Jerusalem, 45 n.Chr. (S. 543ff.):
Die verschiedenen Gruppen innerhalb der jungen christlichen Kirche drohen die Bewegung zu zerreissen. Zwischen tora-treuen Juden(Christen) und nicht-jüdischen Gläubigen gibt es unzählige Splittergruppen und Schattierungen. V.a. die Themen Beschneidung und gemeinsames Essen bilden die Stolpersteine; aber auch die Sabbatheiligung und die weiteren jüd. Gebote. Man einigt sich darauf, dass Petrus den Juden das Evangelium verkündet, Paulus den Heiden, also Nichtjuden. Daneben gibt es nur wenige Regeln, meist der Verzicht auf Götzenopferfleisch, kein ausserehelicher Geschlechtsverkehr und gewisse Schlachtgebote. Interessant dabei ist, dass das zentrale jüdische Beschneidungsgebot relativ rasch sang- und klanglos verschwindet. Über die Gründe ist man sich hier heute noch nicht ganz sicher.
7. Ärger in Rom – Christen in Rom (S. 546ff.):
Schon Mitte des 1. Jhdts. gibt es in Rom mind. eine Christengemeinde. Allerdings geraten die Christen in Rom schon bald in Konflikt mit der dortigen jüdischen Gemeinde. Das fördert den Missmut und den Argwohn gegenüber den Christen, denn die Römer wollen v.a. eines nicht: Streit aufgrund verschiedener Religionszugehörigkeiten.
8. Missionsreisen des Paulus (S. 548ff.):
Paulus wirkt in erster Linie durch seine Missionreisen und durch eine überaus intensive Briefkorrespondenz. Über die historische Echtheit der Briefe wird diskutiert. Vf. möchte alle als "echt" im weitesten Sinne gelten lassen. Echt heisst dann: Von Paulus autorisiert, auch wenn sie von Schülern oder Mitarbeitern verfasst wurden. Die Briefe von Paulus beschäftigen sich mit jeweils lokalen religiösen Problemen und Schwierigkeiten, aber auch mit generellen Themen. Weil sie aber nicht nur als Gelegenheitsschriften gelesen wurden, sondern grundsätzlich über den christlichen Glauben nachdenken und oft erstaunlich praxistauglich sind, wurden sie mehrfach abgeschrieben, weiter versendet und in den Gottesdiensten als besonders geeigneten Diskussionsstoff vorgelesen. So entstanden die Briefsammlungen, die in den jungen Gemeinden neben der jüdischen Bibel und später dann den Evangelien verlesen wurden.
Neben den Briefen waren die Auftritte Paulus' in den Städten zentral. In Athen stellt er sich den griechischen Philosophen. Der Erfolg war aber im Moment gering.
Oft sympathisieren Sklaven und Freigelassene mit der neuen Lehre. In Kombination mit gut Betuchten und Gebildeten ergibt das für die neuen Gemeinden eine Mischung, die so in der Antike einzigartig ist. Ebenso treten augenscheinlich wie schon in der Jesus-Bewegung viele Frauen in wichtigen Funktionen auf.
Ob Paulus bis nach Spanien gekommen ist, ist unsicher, gewiss aber nicht unmöglich. Man nimmt an, dass er anschliessend wie Petrus in Rom den Märtyrertod erlitten hat. Zeitlich würde das in die ersten, zwar lokalen, aber nichts desto weniger traumatischen Verfolgungen von Christen passen.
9. Das Neue Testament entsteht (S. 568ff.):
Kurz vor dem Jahr 100 ist der neutestamentliche Kanon abgeschlossen. Zentral sind die vier Evangelien. Daneben die Sammlung der Briefe sowie die Offenbarung des Johannes. Der Kanon ist aber ein "offenes System": lange Zeit waren verschiedene weitere Schriften Teil davon oder standen parallel daneben. Richtschnur war nicht nur die möglichst grosse zeitliche Nähe zu Jesus (darum: Apostel, Zeitzeugen), sondern auch eine inhaltliche Nähe ("Was Christum treibet" schrieb einst Luther).
So unterscheidet Vf. einen dreistufigen Prozess: Apostel – erste schriftliche Aufzeichnungen und Sammlungen von Jesus-Worten und -Erinnerungen – entstehende Evangelien. ( Mehr oder weniger akzeptiert Vf. damit die sog. Zwei-Quellen-Theorie. Allerdings gerät er mit den Hinweisen auf die Zerstörung des Tempels 70n.Chr. etwas ins Schleudern. ) Für die Hintergründe zu den Evangelien verweist Vf. v.a. auf die altkirchlichen Chronisten (Papias, Hieronymus). Neben den Schriften im neutestamentlichen Kanon existierte noch eine riesige Vielfalt weitere, teils legendarischen, teils religiös übersteigerten bis verfremdeten Berichte und Schriften. Nur eine ganz kleine Zahl ist bis heute davon erhalten geblieben (man rechnet mit einem Verlust von sicher 96%). Vf. rechnet das Thomas-Evangelium nicht dazu – obwohl gerade hier vermutlich noch viele Worte Jesu im Originalwortlaut anzutreffen sind.
10. Vereine wie keine: Die ersten Christengemeinden (S. 582ff.):
Durch das Wachstum müssen sich die ersten Gemeinden organisieren. Es bildet sich eine eigene Struktur heraus – und damit eine erste Ämterlehre (im freikirchlichen Kontext wird dafür oft der Begriff Dienst verwendet). Das Tagesgeschäft leiteten Diakone; ein Vorstand von Presbytern übernahm die Leitung; Gottesdienste und Sakramente leiteten, resp. spendeten die Bischöfe.
Zeichen für die Christengemeinden war die soziale und karitative Sorge füreinander. Das begann bei Essenmahlzeiten und hörte bei der Hilfe für Alte und Kranke auf. Zeichen der Zugehörigkeit war die Taufe, die i.d.Rgl. nach einem längeren Vorbereitungszeitraum empfangen wurde.
Zentral für die Gottesdienste war das gemeinsame Essen, die Feier des Abendmahles und die Lesung von biblischen Abschnitten im Hinblick auf Jesu Predigt und Lehre.
Ebenso vertraten die Christen eine neue, strenge und idealisierte Sozialethik. Rangunterschiede wurden eingeebnet. Ob man die Christen als "sexpositiv" bezeichnen konnte, darf aber sehr hinterfragt werden. Gerade Paulus hatte ein sehr gespanntes Verhältnis zur Ehe wie zur Sexualität. Hier vertritt Vf. zumindest eine sehr exquisite Lesart.
11. Frauen in den christlichen Gemeinden (S. 588ff.):
Hier werden anhand der paulinischen Briefe die wichtigsten mit Namen bekannten Frauen der christlichen Frühgeschichte beschrieben. Leider handelt es sich häufig nur um Nennungen, so dass Vieles dahinter im Dunkeln bleibt. Sicher ist, dass gerade Frauen in der Frühzeit des Christentums und bei dessen Ausbreitung eine wichtige Rolle zukam.
12. Das Massaker von Rom und die Zerstörung von Jerusalem (S. 595ff.):
Ob sich die Ereignisse in Rom und in Palästina so schlüssig aufeinander beziehen lassen, wie Vf. das in diesem Kapitel zeigen will, bleibt fraglich. Es wirkt etwas gar deterministisch. Man könnte auch argumentieren, dass in Rom unter Kaiser Nero verschiedenste Gruppierungen – darunter Juden wie Christen – als Aussenseiter gelten. Gleichzeitig torkelt Rom langsam in ein Klima des Misstrauens und der Angst. Kaiser- und Tyrannenmorde häufen sich.
Äusserlich wird Palästina nicht friedlicher. Innerjüdische Zwiste wie auch der Konflikt mit Rom eskalieren. Der Raub des Tempelschatzes bringt das Fass zum Überlaufen. In dessen Folge wird der Tempel, an dessen Fertigstellung mehr als 100 Jahre gearbeitet wurde, 70n.Chr. in einem gigantischen Massaker samt Jersualem zerstört. Das antike Judentum verschwindet damit eigentlich. Sowohl die jüdischen Splittergruppen wie die Tempelaristokratie und die israelitischen Könige gehören der Vergangenheit an. Einzig die spätantiken Pharisäer, die ihre Lehre als Auslegung der Heilgen Schrift neu konzipieren, vermögen wie die junge christliche Kirche ihren Glauben zu transformieren. Ab nun an ist das Judentum trotz nochmaligem Aufbäumen nicht mehr dasselbe.
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