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  • AutorenbildMichael Baumann

Zusammenfassung 3: Jesus, eine Weltgeschichte von Markus Spieker

Kapitel V bis VI


Tausend Tage für die Ewigkeit

Einführung (S. 261ff.): Tacitus, der röm. Historiker, erwähnt und kennt Jesus von Nazareth nicht, was man als grober Fehler oder einfache Fehleinschätzung benennen kann. Oder einfach eine Folge dessen, dass Jesus sehr kleinräumig wirkte und sein ganzes Wirken und Wesen auf die Menschen um ihn herum ausgerichtet war. Andererseits war Jesus dem jüdischen Historiker Flavius Josephus dann doch bekannt, der Jesu Vita summarisch zusammenfasst. Daraus und aus weiteren Quellen ergibt sich ein Todesdatum von Jesus zwischen 30 und 33 n.Chr. Vf. plädiert für den Beginn der öffentlichen Wirksamkeit von Jesus etwa im Jahr 27. Daraus folgt: Jesus hatte rund drei Jahre Zeit, seine Lehre den Menschen mitzugeben. Eine weitaus kürzere Spanne, als bei anderen religiösen Gründerfiguren (S. 263): Buddha 50 Jahre; Mohammed 20 Jahre. Auffällig ist auch, dass Jesus viel jünger stirbt als die andern „religious leaders“. Drei Jahre Wirksamkeit sind rund 1‘000 Tage.

1. Jesus mit 30: Vf. beschreibt Jesus mit 30 Jahren als unauffälligen, durch Handwerk und ländliche Arbeit aber trainierten jungen Mann von rund 1,65m Grösse… (S. 265!). Witzig das Zitat zu Jesu Fitness anhand von Jer 12,5. Vf. hebt hervor, dass im Unterschied zu antiken aber auch jüdischen Lehrern und berühmten Schülern Jesus ein völlig unbeschriebenes Blatt war und nicht auf grosse Resonanz oder Popularität schielte oder hoffen konnte.

2. Der Missionsbeginn (S. 266): Vf. betont, wie anerkannt und wichtig in der gesamten Antike die Redekunst war. Jesus tritt auf als religiöser Redner. Auch in Rom und Griechenland war die Ausbildung zum Redner (Rhetor) die höchste gesellschaftliche Ausbildung. Jesus tritt mit rund 30 Jahren auf – ähnlich Paulus sowie die späteren religiösen christlichen Denker (Augustin, später Luther, Blaise Pascal, Kierkegaard etc.). Jesus war ungebunden, nicht verheiratet und somit nicht verpflichtet. Beginn seines Auftretens ist die Taufe am Jordan. Johannes der Täufer hingegen ist bekannt, eine Führergestalt, ein Guru. Jesus hingegen der Bittsteller. Die Evangelien beschreiben die Geschichte so, dass Johannes kaum begreift und versteht, wer Jesus ist. Und Jesus hält nach der Taufe gerade keine Rede, sondern es spricht „eine Stimme aus dem Himmel“. Mit der Taufe wird eine Verbindung zur Sintflut-Geschichte angezeigt, eine „umgekehrte Sintflut“ beginnt mit dem Erscheinen und Auftreten Jesu.

3. Die Versuchungsgeschichten (S. 271ff.): Die Versuchungsgeschichten sind laut Vf. Prüfungsgeschichten. Er interpretiert die Teufelsfigur nicht psychologisch und auch nicht „onto-theologisch“ (Teufel = der „Böse“, die „dunkle Macht“, eine eigene Realität etc.), sondern geschickt anthropologisch (=es gehört zum Menschen, zur Menschenart, zur menschlichen Versuchung) als das / der, welcher „verlockende Angebote“ macht und den Menschen korrumpiert. Jesus selbst erklärt und definiert den Teufel nicht, sondern weist ihn in die Schranken. Mit Verweis auf Origenes zeigt Vf., dass am Teufel in der Bibel relativ wenig Interesse besteht. Er kommt im AT bei David vor und Hiob. Zwar gab es die jüdische Vorstellung, dass der Satan das himmlische (Engels)Heer anführte, bis er aus dem Himmel verbannt wurde, doch viele Vorstellungsformen dieses gefallenen Engels sind nicht einmal nur jüdisch, sondern gemein vorderorientalisch. Originell ist der Vergleich, der Teufel sei eine Art „Schadsoftware“ (S. 275), also diejenige Macht, die immer in die Schöpfung hinein pfuscht. Dagegen steht Jesus ein mit der Liebe zu den Menschen, die die Liebe Gottes widerspiegelt. Darum hatte diese vernichtende Macht keine Chance bei ihm – was Vf. mit Hildegard von Bingen (S. 275) erklärt. Dass Jesus versucht wurde ist hingegen für Leaderfiguren nicht untypisch, siehe Odysseus (S. 277). Jesus zeigt sich in den 40 Tagen in der Wüste als „neuer Adam“, der eben nicht vom guten Weg abgebracht werden kann (S. 278).

4. Rückkehr nach Nazareth (S. 279ff.): Hier wird zusammengefasst, dass Jesus in seiner eigenen, engsten Heimat wenig Gehört findet und weggedrängt wird (S. 281). Zwar warten die Juden in dieser Zeit sehnlichst auf den Messias und den Erlöser, der Israel wieder zusammenführt und zur versprochenen Grösse bringt. Doch Jesus ist nicht der weltliche Herrscher, sondern Sprachrohr Gottes. Das führt zu Konflikten. Inwieweit er sich selbst als Messias verstanden hat, ist unklar. Vf. befürwortet es aber klar (S. 281). Jedenfalls erklärt die erzwungene Emigration von Jesus, dass er seine Wirksamkeit nicht in der Heimatregion entfaltet, sondern als umherziehender Rabbi.

5. Jesus beruft die Jünger (S. 283ff.): Doch Jesus will mehr als eine neue Lehre predigen, er hat einen geistlichen Aufbruch im Sinn. Er will eine Bewegung starten. Dazu beruft er Jünger. Menschen um ihn herum. Gefolgsleute, Mitträger. Dabei war es damals so, dass eher die Schüler einen Rabbi oder berühmten Philosophen sich als Lehrer aussuchten. Doch Jesus beruft als Lehrer seine Schüler und fordert von ihnen absolute Gefolgschaft. Dabei gab es mehrere Kreise: Die 12 engsten Mitstreiter, der Kreis von vielleicht 70 weiteren Jüngern (und Jüngerinnen?!) sowie einige wichtige Frauen (warum Vf. die nicht zum Kreis der 70 zählt leuchtet mir nicht ganz ein). Die berufenen Jünger und Jüngerinnen sind aber nicht mittellos oder randständig, sondern aus der bürgerlichen Mittelschicht: Handwerker, Fischer, Bauern, sogar ein finanzkräftiger Ober-Zöllner (Levi). Allerdings auch keine Mitglieder der Upperclass, zB wird Nikodemus gerade nicht Jünger. Innerhalb des Zwölferkreises gibt es noch eine engere Gruppe der drei Jünger Simon Petrus, Johannes und Jakobus. Vf. bietet zudem einen interessanten Hinweis aus der Sozialpsychologie, dass max. 150 Personen unter sich eine sog. „geschlossene Gruppe“ bilden können, die sich genügend gut kennen und enge Beziehungen aufrecht erhalten können. Werden Gruppen grösser, so fallen diese auseinander (S. 288).

6. Jesus unter Leuten (S. 290ff.): Jesus baute eine besondere Beziehung zu Kindern und Frauen auf – das ganz im Gegensatz zu der restlichen (religiösen) Literatur der Antike. Auch war offenbar Gemeinschaft und gemeinsames Essen wichtig – hier entspricht er eher dem Bild der Zeit. Dass er oft von Randständigen und Auffälligen geradezu belagert wird, fällt schon den Jüngern auf und späteren Schriftstellern (S. 291). Andererseits zog er auch Figuren an, die aufgrund des Lebenswandels und ihrer Stellung in Konflikt mit der Gesellschaft geraten waren (Zöllner, Geldeintreiber, Prostituierte). Vf. zeigt, dass zB Sokrates eine eher misogyne Haltung hatte (frauenverachtend), was sich aber auch bei frommen jüdischen Lehrern der Zeit fand (S. 293). Jesus hingegen heilte ganz offenbar eine Vielzahl von Frauen, diese kommen prominent bei ihm vor. Mit Maria aus Magdala ist eine ganz wichtige Figur zentral: Jesus ermöglicht ihr einen Neuanfang und sie wird zur zentralen Botschafterin der Auferstehung. Auch die Begegnung mit der Samaritanerin am Jakobsbrunnen (Joh 4) zeigt, wie Jesus die Frauen ernst genommen hat (S. 295ff.).

7. Jesus alleine (S. 298ff.): Hier schildert der Vf. in wenigen Sätzen, dass eine Beziehung zwischen Jesu Predigt und seinem Handeln, seinem Durchwandern Galiläas und dem Anspruch besteht, dass Gott an den Menschen handelt. Jesus geht, ist Aktion, ist Gottes Bewegung zum Menschen hin. Im Gegensatz dazu waren andere religiöse Führerfiguren statisch (Buddha) oder Krieger (Mohammed). Gleichzeitig zieht sich Jesus immer wieder zum Gebet zurück. Das Gebet selbst ist aber auch Handlung: Hörende, sprechende Ausrichtung auf Gott.

8. Jesus als Redner (S. 300ff.): Nochmals wird erklärt, dass sowohl Aristoteles wie Cicero den Wert der Rede als höchste Fähigkeit schätzten (S. 301). Allerdings unterscheidet sich Jesus von den philosophischen und politischen Rednern der Zeit, weil er erstens im Namen Gottes spricht (und nicht einer Lehre, einer Politik, oder menschlichen Interessen) und zweiten immer zu Menschen konkret in deren Alltags- und Lebenswirklichkeit. Sein Reden in Vollmacht („Exousia“) ist Vergegenwärtigung von Gottes Lebensmacht – keine Menschenmacht (S. 302f.). Zwar kann er viele rhetorische Kunstgriffe ziehen (S. 304f.), doch ist das nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Und er schuf ganz offensichtlich u.a. die Gattung des Gleichnisses (oder baute dessen Stil ganz eigen aus). Auch wenn Vf. dabei m.E. die ganz verschiedenen Beispiele und Gleichnisse Jesus alle in einen Topf wirft, was etwas verwirrend wirkt. Z.B. wäre doch zwischen Beispielerzählungen wie dem barmherzigen Samariter und eigentlichen kleinen Gleichnissen (wie z.B. vom Weizen) zu unterscheiden.

9. Warum Wunder so wichtig sind (S. 308f.): Vf. wendet sich gegen die Meinung, dass in der Antike Wunder allgegenwärtig waren. Leichtgläubigkeit konnte man sich nicht leisten. Andererseits waren Wundertaten bei allen grossen jüdischen Gestalten wichtig (Moses, Elia-Elisa, die Prophezeiung Jesajas). Von Jesus wird die grösste Anzahl Wunder berichtet. Wichtig ist der Hinweis, dass das griechische Wort für Wunder (teras) erst spät im NT vorkommt, die Evangelien sprechen von „dynamis“ = Machtzeichen für die göttliche Gegenwart. Wunder sind bei Jesus also immer Zeichen von Gottes Macht und Gegenwart – Gott agiert in den Wundern (S. 309).

10. Die Hochzeit von Kana (S. 309ff.): Mit einem Vergleich auf die Hochzeit der Agrippina im (dekadent-verfallenen) Rom unterstreicht Vf. den Unterschied zur jüdischen Hochzeit in Kana, die in der Jesus-Geschichte das erste öffentliche Wundergeschehen darstellt. Laut Vf. geht es um ein messianisches Zeichen (S. 315), also darum, dass hier Gott sich in der Wirklichkeit ereignet und zeigt. Vf. erklärt darum auch nicht, wie das Wunder zum Wunder wird, sondern klugerweise ist das Wunder in der Wahrnehmung der Gäste eben wunderbar!

11. Jesus macht gesund (S. 316ff.): Zentral sind neben den „Vermehrungswundern“ (Wein, Brot, Fisch) die Heilungswunder. Bei der Heilung des Gelähmten in Nazareth wird die Lähmung mit der Sündenvergebung verbunden. Damit unterstreicht Jesus (resp. Vf.), dass nicht nur die konkrete Heilung, sondern die (wieder hergestellte) Verbindung mit Gott Inhalt des Wunders ist: Der Kranke ist nicht nur nicht mehr krank, weil die Krankheit wegfällt, sondern weil all das wegfällt, das zwischen ihm und Gott stand. Falsch wäre es jetzt, kurzsichtig die Krankheit als Strafe oder Konsequenz der Gottesbeziehung zu sehen. Umgekehrt ist aber auch der Mensch nicht gegen die Gottesferne gefeit. So kann Vf. schreiben, dass die gravierendste Verkrümmung des Menschen eben innen liegen und nicht aussen (S. 318). Somit muss Vf. nicht die Wirkungsweise oder das Mirakulöse des Wunders erklären, sondern kann sich auf die Funktion konzentrieren. Andererseits gerät Jesus damit auch in Erklärungsnöte gegenüber dem religiösen Establishment, dass strikte die Welt der Krankheit (= Dämonen) und die Welt Gottes (= Gebote) trennte. Typisch ist der Umgang mit den Leprösen (S. 320f.), bei denen der Kontakt mit ihnen in der Tora akribisch geregelt war und die dennoch eben als Aussätzige im wortwörtlichen Sinne galten. Schon für die Zeitgenossen waren die Heilungswunder in der Tat übernatürlich, doch für Jesus selbst reine Zeichen göttlicher Gegenwart. Im Unterschied zu Magiern, Zauberern oder religiös-spirituellen Profis, deren übernatürliche Fähigkeiten esoterisches Wissen bedingt, ist für Jesus gerade kein esoterisches Wissen nötig, sondern Gottes Gegenwart!

12. Der Totenauferwecker (S. 322ff.): Drei Wunder Jesu werden berichtet, die alle Grenzen sprengen. Es sind das die drei Totenauferweckungen. Die erste ist die Auferweckung des Toten von Nain, bei der Jesus von der Witwe und Mutter des toten jungen Mannes gerührt ist und ihren Sohn wieder zum Leben erweckt. Die zweite ereignet sich in oder bei Kapernaum, wo der Synagogenvorsteher Jairus sich in höchster Not wegen seiner sterbenskranken Tochter an Jesus wendet. Darin eingefädelt wird von der Heilung der blutflüssigen Frau berichtet. Die dritte Auferweckung ereignet sich kurz vor Jesu Tod – dies verschiebt Vf. ganz offensichtlich. Sein Schwergeweicht liegt auf der Deutung der Heilung / Auferweckung der Tochter von Jairus. Diese stirbt nach der Deutung von Jesus nicht, sondern schläft nur (S. 326). Vf. benutzt die Heilung der blutflüssigen Frau als Deutungsmuster für die Totenauferweckungen, indem er die Gegenwart Jesu („das Berühren des Kleider“) als wirkmächtige Geste / Handlung erklärt. Jesus tritt auf als Vergegenwärtigung Gottes. Das ist aber nicht ganz schriftgemäss. Denn Jesus spricht nicht von „seiner“ Kraft, sondern vom Glauben! Entscheidendes Kriterium für die Wirkung Gottes ist nicht die Gegenwart Christi oder Gottes, sondern der Glaube der jeweiligen Betroffenen. Ich frage mich, ob Vf. hier nicht seinem pfingstlerischen Erbe allzu treu folgt.


Was Jesus lehrte (Kapitel VI)

Auch die einführenden Bemerkungen (S. 328f.) scheinen mir eher der Herkunft Vfs. Geschuldet zu sein, als dem wirklichen biblischen Befund. Denn nirgends steht ja geschrieben, dass das Glaubensbekenntnis oder ein kirchliches Lehrgebäude den Glauben an Christi Gegenwart ersetzen können. Das ist schlicht und ergreifend Quatsch. Umgekehrt steht auch nirgends, dass das bedingungslose Vertrauen auf die Wirkung des Heiligen Geistes höher zu gewichten sei, als die Botschaft der Schrift. Sicher ist die Meinung, bei Jesus handle es sich um einen „frommen Menschen“ (Arius) ebenso unlauter. Aber die „Invektive“ gegen Katechismen (S. 329) wirkt eigenartig.

1. Jesus und der Realitätssinn (S. 330): Jesus ist Realist und spricht zu den Menschen in ihre Alltagssituationen hinein (S. 330ff.).

2. Das Reich Gottes (S. 332ff.): Zentral in der Predigt von Jesus ist das Reich Gottes – die Basileia tou theou – Königsherrschaft Gottes. Fraglich ist, was Jesus selbst darunter verstanden hat. Es ist nicht eine Gegenwelt, vielmehr diese Welt durchdrungen von Gottes Geist und Menschen, die auf Gott hören. „Von dieser Welt und doch nicht von dieser Welt“ (S. 333) – fragmenthaft gegenwärtig, aber nie ganz verwirklicht.

3. Menschensohn (S. 334ff.): Menschensohn (Ben Adam) ist die Bezeichnung, die Jesus für sich verwendet. Auch dieser Begriff ist nicht neu, wohl aber seine direkte und quasi alltägliche Verwendung durch Jesus. Jesus selbst vermeidet den Begriff Messias. Ob er sich für den von Gott gesandten Retter und Richter hielt, halte ich für sehr fraglich. Das zeigt die Schrift einfach nicht an. Im Gegenteil: Jesus zweifelt an sich – und auch an Gott. Gleichzeitig eröffnet der Begriff Menschensohn ja gerade, dass er sehr irdisch und dennoch mit göttlichem Bezug zu verstehen ist. Seine Worte vom Weinstock, vom guten Hirten, vom Brot des Lebens zeugen geradezu ostentativ, dass Jesus die Lebensbezüge und die Gottesgegenwart miteinander verbindet. Sicher reklamiert er Gottes Autorität für sich (S. 336) und sieht den Menschensohn (und vielleicht auch die Menschen, die Gott nahe sind?!) sogar den Engeln übergeordnet.

4. Abba (S. 338ff.): Dem entspricht vielleicht Jesu grösstes Wagnis, Gott direkt als Vater anzusprechen. Das ist eine theologisch-liturgische Innovation, die kaum überschätzt werden kann: Jesus löst sich so teilweise von der ganzen bisherigen Tradition – nicht ohne dass dies dann auch andere Rabbinen täten. Darum ist das Unser-Vater-Gebet so wichtig. Vf. zeigt auch schön, dass darin in der 1. Pers.pl. gesprochen wird und nicht in der 1. Pers.sg.!

5. Agape-Ökonomie (S. 343ff.): Mit der Liebe Gottes zu den Menschen, die innerhalb der Menschheit gespiegelt werden soll, ist eine neue ethisch-theologische Basis geschaffen. Das illustriert Jesus in den Gleichnissen von den Talenten und vom ungerechten Verwalter. Hier ist die Liebe Gottes zu den Menschen ohne Grenzen, absolut. Kaum anzunehmen, dass Jesus damit rechnete, dass alle dies so realisieren könnten. Dennoch zeigt es eben das wahre Wesen Gottes und die gigantische Distanz zwischen der göttlichen Liebe und den Menschen.

6. Schätze im Himmel (S. 347ff.): Wer in irdischen Dingen die Agape Gottes zeigt, der erwirbt sich Schätze im Himmel. Dies – in Anlehnung an den Philosophen Dietrich von Hildebrand – ist nicht „meritorisch“ gemeint (im Sinne der spätmittelalterlichen Ablasslehre), sondern absolut. Ein Schatz im Himmel meint, dass ich zwar weiss, dass mein Handeln immer unvollkommen und fragmentarisch ist, dass ich aber dennoch etwas zu tun versuche, um dem absolut Guten näher zu kommen. Dazu dienen auch die Gleichnisse wie dasjenige von der Perle im Acker, das uns heute völlig widersinnig erscheinen mag. In der Antike galten Perlen als unüberbietbar kostbar. Und dennoch: Wer einen ganzen Acker oder seinen ganzen Besitz verkauft, handelt grenzwertig sinnvoll. Das ist nur zu verstehen, wenn der erhoffte Besitz alles Denk- und Fühlbare übersteigt, also das Reich Gottes selbst bedeuten würde.

7. Jesus redet vom Jenseits (S. 349ff.): Jesus rechnet ganz offensichtlich mit einer richterlichen Entscheidung vor Gott. Zwar gilt Gottes Agape und Liebe, zwar gilt Gottes Gerechtikeit, wie Paulus das formulieren wird, andererseits gilt auch das Gericht Gottes absolut. Es hiesse die Predigt von Jesus zu verkürzen, würde das nicht ernst genommen.

8. Wie man ins Reich Gottes kommt (S. 352ff.): Das Reich Gottes öffnet sich für denjenigen, der sich umwendet, umkehrt, zu Christus sich hinkehrt (eine Kehre vollzieht). Das meinen Jesu Rufe an seine Jünger, das meint das Wort metanoia = neu denken. Sich neu auf Gott ausrichten, das ist das Reich Gottes. Später wurde im Lateinischen das Wort paenitentia (Reue) daraus – was nahe bei poenitentia (=Busse) liegt. Es ist falsch, dass Luther daraus den Slogan Tut Busse! machte. Dieser galt schon das ganze Mittelalter hindurch und war zentral für die Bettelorden. Poenitentiam agite – tut Busse! Schalt immer wieder durch die mittelalterlichen Gassen. Damit war gemeint: Kehrt um, richtet euch auf Gott aus! Allerdings stand schon Jesus im Zwiespalt, dass Menschen nicht auf ihn hören wollten, oder nicht völlig sich zu ihm hinkehren wollten (Nikodemus, S. 353). Auch das Gleichnis vom verlorenen Sohn (eig. auch eine Beispielerklärung) zeigt das – aber umgekehrt: Hier ist es der Vater, der wie Gott selbst barmherzig reagiert, der eine Sohn aber völlig unverständig ist – begreiflicherweise im irdisch-menschlichen Kontext.

9. Verkehrte Welt (S. 356ff.): Dies bringt Vf. zur Deutung der Bergpredigt. Die Bergpredigt preist nicht einfach eine Gegenwelt oder eine politisch-moralische Utopie, sondern im Einzelnen Menschen, die sich auch aufgrund völlig negativer Ausgangssituationen auf Gott verlassen. Ob man das psychologisch (S. 358) oder religiös oder philosophisch erklärt, ist vermutlich nicht so wichtig. Originell ist, dass Vf. die Bergpredigt und die Seligpreisungen mit den Wehe-Rufen von Jesus verbindet. Die Wehe-Rufe gelten denen, die sich nicht auf die Realität Gottes verlassen mögen. Auf die Realität Gottes wollen sich auch die Reichen nicht verlassen. Sie verlassen sich auf ihren Reichtum. Darum gehen sie nicht in das Reich Gottes ein – wie ein Tau oder ein Kamel nicht durch ein Nadelöhr kommt, obwohl in der Antike viele Reiche und später auch reiche Christen extrem viel gespendet haben.

10. Ausweitung der Liebeszone (S. 365ff.): So interpretiert Vf. auch das Doppelgebot der Liebe im Sinne einer Überbietung aller bisherigen Gebote. Wie und ob das ein einzelner Mensch realisieren kann, ist vielleicht weniger wichtig, als dass es überhaupt besteht. Jesus denkt universal, nicht partikular (S. 365). Jeder ist der Nächste, auch der Feind. Jesus unterläuft in seiner Predigt jedes menschliche Rechnen und jede moralische Punktesammlerei. Darum auch der Hinweis, mit einem (römischen) Soldaten die doppelte Wegstrecke als „Zeitsklave“ zu gehen, als gefordert. Dabei wird nicht erklärt, dass Jesus radikaler Pazifist war – dafür war er vermutlich viel zu sehr Realist. Umgekehrt radikalisiert und verschärft er gerade alle traditionellen Weisungen und Gebote der Tora, hebt also das Bestehende nicht auf (S. 371).

11. Die Glücksformel (S. 372ff.): Zentral für das Verständnis von Jesu Beziehung zwischen Gott und den Menschen ist Gottes Liebe und Zuneigung zu uns. Nicht der Mensch muss Glück und Bestätigung suchen und finden, sondern Gott schenkt sie dem Menschen, schenkt sie uns.

12. Und die Hölle? (S. 374ff.): Das schliesst aber nicht aus, dass Menschen sich bewusst gegen Gott entscheiden können. Vf. betont stark, dass Jesus immer wieder die Freiwilligkeit und Güte unterstreicht. Ernstnehmen der Freiheit des Menschen bedeutet aber auch, dass sich der Mensch gegen Gott und entgegen aller Liebe Gottes gegen den Schöpfer entscheiden können.


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