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  • AutorenbildMichael Baumann

Winterthur und die Kirchenfusion

Nun kommt mit dem Abstimmungsherbst auch die Kirchenfusionitis nach Winterthur. Zwar nicht mit Siebenmeilenstiefeln, aber doch in Gestalt einer Grundsatzabstimmung.

Die reformierten Winterthurer dürfen wählen, ob sie lieber einen gestärkten Stadtverband haben wollen (den es seit bald 100 Jahren gibt), oder eine Megafusion à la Zürich.

Der Landbote - als vom Tagesanzeiger ferngesteuertes Lokalblatt - macht heftig Werbung für die Fusion. Und betitelt alle Gegner frech als Traditionalisten und damit als Hinterwäldler, weil nicht modern. So in der Ausgabe vom 13. August.

Dabei macht es sich die Journalistin Deborah Stoffel einfach und fällt geradewegs auf die Nase. Denn keines ihrer fünf Argumente für eine Fusion macht Sinn. Doch der Reihe nach.

  1. Die Kirchgemeinden hätten keinen Spielraum mehr, um zu gestalten. Das ist Quatsch. Sie hätten schon, tun das aber nicht oder haben soviele Mitglieder verloren, dass dieser halt weg ist. Warum zum Beispiel die Stadtkirche noch vier Pfarrer benötigt (380%) bei knapp 6'700 Reformierten, dazu Sozialdiakone, Jugendarbeiter, Katechetinnen und ein spezielles "Team Orbit" etc. leuchtet nicht ein. Hier von "fehlendem Spielraum" zu sprechen ist eine Ohrfeige gegen alle andern Gemeinden, die mit weniger auskommen müssen. Zudem wird angeführt, die Kirche müsste neben der Verkündigung des Evangeliums weitere "gesellschaftliche Aufgaben" erfüllen. Mir wäre es recht, wenn die Verkündigung beherzt erfüllt würde, die gesellschaftlichen Aufgaben wie die Fabrikkirche oder die Akazie wurden ja in den Sand gesetzt oder weggekürzt. Und in der Corona-Zeit hat sich an der Basis viel bewegt, aber nicht auf Behörden- oder Leitungsebene. Das Einzige, was in der Stadt blüht, ist das Kaffee-Restaurant "Zum Hinteren Hecht" im Neustadtquartier - das aber dank der Kirchgemeinde Seen aufgegleist wurde und gerade nicht von der Stadtkirche!

  2. Die Stadtkreise verlören mit einer zentralen Pfarrwahl keinen Einfluss, denn immer noch benötigt eine Pfarrwahl vorgängig eine Pfarrwahlkommission. Doch gewählt wird dann ein Pfarrer oder eine Pfarrerin von der ganzen Stadt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Die Pfarrwahlen verkommen also zu einer Alibi-Übung, denn es dürfte die Wülflinger nicht so sehr interessieren, was die Tössemer für eine Pfarrerin bekommen. Warum auch. Ausser, eine Pfarrwahl artet im Vorfeld schon zu einem Miniskandal aus, doch gerade das können wir uns nicht leisten, dafür gibt es jüngst zu viele schlechte Beispiele in den Kirchenleitungen.

  3. Der Stadtverband sei veraltet und habe in 90 Jahren wenig Innovatives geleistet. Auch das ist falsch. Im Gegenteil: Die Idee, die Dinge in einen Verband zu delegieren, was funktional und delegierbar ist, weil von grosser finanzieller Auswirkung, ist ein Beweis an Augenmass. Das von Frau Stoffel gebrachte Beispiel der Kirche Rosenberg, die nicht so schnell umgenutzt werden kann, wie das einige Veltheimer Turbos möchten, ist untauglich. Denn gerade die Kirche Rosenberg als letzte der neueren Kirchen Winterthurs ist in vielerlei Hinsicht besonders. Einmal wurde sie von der reformierten Bevölkerung, also unseren Grosseltern finanziert und sich vom Munde abgespart. Dann ist sie architektonisch ein Zeitzeuge und stellt auch einen grossen Baulandwert dar. Sie gehört zum ideell und finanziel Eingemachten. Da macht man nicht schnell eine "Kulturkirche" draus ohne zu wissen, was das dann kostet und bringt und ob überhaupt Bedarf besteht. Und: Es ist immer noch eine Kirche, ein Gotteshaus. Die Journalistin und die zitierten Experten zeigen dafür offenbar wenig Verständnis.

  4. Die Fusion mache Kirchgemeinden nicht träge. Das grenzt schon fast an Orwell'sche Verdrehung der Wirklichkeit. Wer sich in Zürich erkundigt, hört ganz andere Stimmen. Mit der Megafusion wurden gleich neue Kirchenkreise mit gegründet. Wer nun für was, wo zuständig ist - ein Desaster. Zudem: Die Kirchenkreise haben keine Identität, wie sollen sie auch, wurden sie doch aus dem Hut gezaubert als klar wurde, dass eine sogenannt "professionelle Kirchenpflege" für die ganze Stadt doch zu weit entfernt ist, weil zwischen Leimbach und dem Zürichberg halt entweder der See oder zwei Flüsse liegen. Der Hinweis, dass das zitierte "Projekt Orbit" in Winterthur nur durch Zufall habe realisiert werden können, ist lehrreich. Man versteht nämlich auch nicht ganz, was es ist und zu was es dient... "Unsere Lebenswelt beschränkt sich nicht auf mein Quartier", wird sodann jemand zitiert. Aber: Für wesentliche Zielgruppen der reformierten Kirche halt eben schon, nämlich für Familien mit Kindern und Jugendlichen, die eben in einem Quartier aufwachsen, in den lokalen Chindsgi gehen und nicht in den Unti von Veltheim nach Töss wollen. Und das gilt auch für die ältere Bevölkerung, die gerade in der Corona-Zeit froh ist, wenn sie noch zum lokalen Coop oder Beck gehen kann und mag.

  5. Die kirchliche Bürokratie führe sogar zu mehr Zufriedenheit bei den Mitarbeitenden. Dieser letzte Punkt ist zuerst einmal eine Ohrfeige an alle Teilzeittätigen und freiwilligen Mitarbeitenden. Was sollen all die Freiwilligen denken, die Zeit und Herzblut für die Kirche opfern? Sind sie jetzt plötzlich weniger wert, weil da die "Professionellen" kommen? Dann ist die Bürokratie einfach nur teuer: Man blicke in die fusionierten Gemeinden rund um Winterthur und schaue deren Budget an! Drittens führt eine Fusion nie zu mehr Nähe, sondern zu Ferne. Auch da lehren uns die vollzogenen Fusionen Besseres. Und viertens will man nun ernst machen mit der Idee, möglichst viele professionelle Stellen zu schaffen. Diese "Professionellen" sind dann hochmotiviert und überall anzutreffen. Grössere Teams führen zu allgemeiner Zufriedenheit. Der Hohn ist, dass sogar die Seelsorge professionalisiert und im Team geleistet würde - also gerade das, wo es essentiell auf die Begegnung von Mensch zu Mensch ankommt. Mir graut davor, dass im Team zuerst besprochen werden muss, wer sich wem annimmt... Näher bei den Menschen ist das bestimmt nicht.

Summa summarum: Offenbar sind die Winterthurer auf dem besten Weg, ihre reformierte Kirche selbst abzuschaffen und das auch noch gut zu finden. Sie erhalten dabei "professionelle" Hilfe vom Tagesanzeiger-Konzern, der für seine Kirchenfreundlichkeit bekannt ist. Honi soit qui mal y pense.


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