Etwas in der gegenwärtigen Krise fällt ja erstaunlicherweise auf - und nicht nur einzelnen. Zum einen hört man in der Presse über alle möglichen kreativen und gutgemeinten Vorschläge, wie man mit der Corona-Krise umgehen kann. Auch die Kirchgemeinden bemühen sich - mit ersten zaghaften, verhaltenen Schritten ins Digitale. Vieles wirkt noch unbeholfen, da ein alleine singender Pfarrer, da eine Pfarrkollegin, die mal besser, mal unschärfer aufgenommen ist. Doch das wird sich geben. Man lernt dazu.
Irritierender ist etwas anderes: Grosso modo haben sich Kirchen und Intellektuelle ein Schweigen auferlegt. Eine Schockstarre. Sie sind verstummt.
Das war noch anders, als wir tagtäglich von grösseren oder kleineren Katastrophen und Eilmeldungen überflutet wurden. Da gab es zu jedem und allem einen Kommentar. Aber jetzt, wo viele Menschen Orientierung, Hilfe oder Einordnung bedürfen würden - da ist alles still. Die Einzigen, denen man sein Ohr noch schenken mag, sind Wissenschaftler. Ärztinnen, Epidemiologen und Virologinnen. Wir sind im Bergführer-Modus.
Wer zu Berg geht, vertraut dem Bergführer blind. Er ist der kundige. Er kennt Gletscherspalten und Bergschründe, Fixseil und Route. Er verlauft sich nicht.
Dabei gab es Zeiten - und man muss nicht die düsteren der Pestzüge bemühen, wo Kleriker Grausliches rieten - als das Christentum Trost und Zuversicht gab. Noch im zweiten Weltkrieg und danach waren die Kirchen gefüllt. Und Karl Barth hörte man sowohl im Radio wie auch im Gefängnis zu.
Hat es vielleicht damit zu tun, dass wir zu lange von einem Wohlfühl-Gott geträumt haben, der sich an Taufen, Hochzeiten und Gemeindefesten nett verkaufen liess, dessen Reduzierung auf die Liebe sich aber als erstaunlich lebensfremd erwies? Der quasi nicht mehr alltagstauglich ist?
Ist unser Christentum Corona-untauglich? Wenn Tausende von Hinterbliebenen ohne Priester und Pfarrer Abschied nehmen müssen, wenn sich Kirche auf Kerzenanzünd-Rituale einiger Exponenten beschränkt und ansonsten getrost auf Eis, also tiefgekühlt werden kann, dann hat das Virus ein bereits geschwächtes Opfer gefunden, das an intellektueller wie theologischer Sklerose vorerkrankt ist: Unsere Kirchen.
Und das hat mit bestimmt auch mit dem fehlenden Glauben und dessen Selbstverständlichkeit zu tun. Denn wenn Glauben ein exotisches Surplus ist, das neben Konsum, Reisen, Genuss und Spass völlig in den Hintergrund getreten ist, dann wird man ihn in Zeiten allgemeiner Beschränkung wohl auch nicht zuerst vermissen.
Erstaunlich ist, dass nur die freikirchlichen Publikationen da Gegensteuer zu geben wagen. Unlängst findet sich im Idea-Spektrum (13.2020) eine Auflistung von Bibelstellen zur Pandemie. Zehn Mahnungen, wie in der Bibel mit Seuchen umgegangen wurde und zehn Ermutigungen. Das ist stark. Man mutet dem Leser dabei viel zu. Aber man traut dem Leser auch zu, dass er das einordnen und für sich fruchtbar machen kann.
Und die Seiten schliessen mit einem bedenkenswerten Zitat von Luther. Der Teufel, so Luther, ist die Panik. Die Panik die einen befällt vor Kranken, vor dem Virus, vor den entvölkerten Bahnhöfen und Städten. Es ist der Teufel und das Böse nach Luther, der nicht allein Tod und Vereinsamung bringt, sondern uns dazu bringt, dass das Leben selbst keinen Frieden noch Ruhe mehr findet. Er macht die Menschen an Gott selbst zweifeln. Und er will das Licht Christus auslöschen. Dem müssen wir mit Luthers Rat widerstreben.
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