Woran es wohl liegen mag, dass wiederholt in der einen Tagespresse Kirchen und Religionsgemeinschaften als überholt und gerade in der Corona-Krise als besonders heimtückisch bis gefährlich eingestuft, in andern Zeitungen hingegen die Kirchen und ihr Sozialengagement gerade gelobt werden? Ein Schelm, wer dabei Böses denkt...
Doch es fällt schon auf: Der Tagesanzeiger, seines Zeichens geleitet von einem bekennenden Atheisten als Chefredaktor, wird nicht müde, seit Wochen die immer gleiche Leier zu spielen: Da wird die in Südkorea am Ausbruch des Corona-Virus schuldige Sekte erwähnt; da wird immer wieder vom Treffen der evangelikalen Christen in Mulhouse (F) berichtet, das am Anfang des Ausbruchs im Elsass und in Basel stand. Und es kommen immer wieder Geschichtlein zum Vorschein, dass hinterwäldlerische Figuren in den USA und Südamerika, aber auch ultrakonservative Katholiken bei uns Weihwasser oder das Abendmahl als ungefährlich oder gar als Heilmittel gegen das Virus empfehlen würden. Die Botschaft dahinter: Wie blöd muss man sein, wenn man heute noch an Religion glaubt! Denn wenn eines gewiss scheint: Die Corona-Krise gleicht dem Siegeszug der aufgeklärten Wissenschaft, also der Naturwissenschaft. Denn sie ist unbeschtechlich, mathematisch genau und empirisch erwiesen. Dass man zu Beginn genau auf diese Naturwissenschaftler nicht hören wollte, sondern die unscharfe Politik massgeblich mitspielte, steht auf einem andern Blatt.
Dass in Italien (Vorsicht: katholisch!) gerade die Fussballspiele und die Industrie im Norden an der Ausbreitung beteiligt waren, interessiert den Tagesanzeiger offenbar weniger. Dass in Deutschland ganz lange Bundesliga-Spiele stattfanden, auch nicht. Hauptsache man kann sich im Kampf gegen die irrationale Religion positionieren. Soviel zum Thema Fake-News.
Anders die Zürcher Zeitung: Hier wird just zu Ostern über das Engagement der verschiedenen Kirchen berichtet. Über das soziale Engagement, das vielfältige lokale Angebot, das gewiss auch absurde Züge trägt, wenn Pfarrer mit Alphorn und Feuerschale durch die Quartiere ziehen und Ostern verkünden oder der Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist vom Turm eine Art Alpsegen über die Stadt Zürich ruft - als müsste der aus dem Toggenburg stammende Gesinnungsgenosse von Zwingli sein Vieh zusammen rufen. Aber publikumswirksam ist der protestantische Muezzin allemal und erinnert damit auch an die Pestzeiten, die man in Zürich auch mit Gottvertrauen und biblischer Rückbesinnung überwand.
Das bringt mich zum Schluss zum Hinweis auf den italienischen Philosophen Giorgio Agamben (*1942). Er selbst gehört auch zur Risikogruppe - und trotzdem fragt er sich besorgt, was denn die Corona-Krise neben all den vielen Kranken und bedauerlichen Sterbenden noch ausgelöst hat. Und er stellt zumindest in Frage, ob nicht auch ein Punkt sein könnte, dass viele Zeitgenossen in der Tat an nichts mehr anderes glaubten, als an die vermeintlich wahre Wissenschaft. Jeder Glaube und jede Überzeugung sei verschwunden. 50 Jahre Wohlstand hinterlassen ihre Wirkung - es bleibe nur das nackte Leben, das es um jeden Preis zu erhalten gäbe und zuvor möglichst viele Reisen, Kreuzfahrten und Sightseeing-Punkte absolviert zu haben. Agamben nennt das den Leviathan, die Tyrannei des Vorfindlichen.
Nun können wir nicht einfach - auch nach der euphemistisch Lockdown genannten Abriegelung (Infanterie!) - zum Leben vorher zurück kehren. So verständlich der Wunsch ist, es geht nicht. Noch länger nicht. Überhaupt nicht. Das einzige, was möglich ist, ist einen neuen Weg zu finden. Dazu braucht es kluge Politik, kluge Philosophie und vor allem ein kluges Nachdenken über unsere Gesellschaft und den Zusammenhalt der Generationen.
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