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  • AutorenbildMichael Baumann

Predigt zum zweiten Sonntag nach Trinitatis

Über das Buch Jona. 21. Juni 2020


Leptokaria, Thessalien, GR. Kloster Kanalou, Agios Dimitrios. Fresko.
Prophet Jona und der Wal.

Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde

Wir haben ja vor einer Woche die erste Hälfte des berühmten Jona-Büchleins gehört. In den beiden ersten Kapiteln wird erzählt, wie der Prophet Jona – der ja in der Tat einst einen historischen Vorgänge hatte, zumindest ist den alten Propheten ein Jona bekannt, wenngleich ohne weiterführende Hinweise oder Reden – der Prophet Jona hätte die Aufgabe, der Stadt Ninive den Untergang zu verkünden.

Doch statt dessen nach Ninive zu gehen, geht er in die entgegen gesetzte Richtung und kommt bei Jafo, dem heutigen Tel Aviv an das Mittelmeer. Dort besteigt er möglichst schnell das Schiff, das am weiteesten weg zu fahren im Begriff ist, ein Handelskahn mit Ziel Tarschisch, vermutlich die Handelsstatt Tartessos bei Cadiz, an der Mündung des Guadalquivir jenseits von Gibraltar in Südspanien.

Doch so schnell gibt Gott nicht bei und er lässt einen Sturm aufkommen, in dessen Verlauf alle um ihr Leben fürchten und durch Los, also übersinnliches Eingreifen den Seeleuten klar wird, dass die Ursache bei ihrem unbekannten Passagier liegt. Dieser fügt sich und lässt sich über Bord werfen, wird aber von Gott durch den berühmten Walfisch gerettet und nach drei Tagen Gebet an die Gestade Israels zurück gesetzt. Es kommt einen vor wie beim Leiterlispiel, zurück auf Platz 2 für den ungezogenen Propheten.

Nach dem Erlebnis auf See fügt sich der Prophet und die beiden eben gelesenen Kapitel folgen. Die Legende nimmt ihren Lauf und die sagenhaft riesige Stadt Ninive bekennt sich öffentlich zu Gott, indem ein gigantisches Fasten ausgerufen wird, das sogar auf das Vieh ausgedehnt wird, auf Schaf und Rind, was zeigt, dass im alten Israel das Vieh durchaus zum Haushalt und damit zur erweiterten Familie der Bauern gezählt wurde. Auch ein Beitrag, der vielleicht in der Veganismus-Diskussion zu kurz kommt. Item, Gott reut die Stadt und die Menschen, er erweist sich als gnädig und barmherzig. Die Menschen sind umgekehrt. Nur einer ist enttäuscht und frustriert, der Prophet, der sich zwar auf die Schultern klopfen könnte, denn ausser in dieser Legende und bei der Josianischen Reform des Kultes in Jerusalem waren ja die Propheten nicht eben bekannt für ihren Erfolg. Im Gegenteil, was gilt der Prophet im eigenen Land? Und wenn sich der Propheten Rede im nachhinein als wahr erweisen sollte, so war in der Regel das Publikum nicht mehr da oder dezimiert und tot, oder hatte andere Sorgen. Prophetsein ist nicht eben ein Beruf mit hohem Sozialprestige. Doch wenn dann einer tatsächlich Erfolg hatte, so war es auch nicht recht. Der Jona fühlt sich hintergangen. Überflüssig. Nun gut, nach drei Tagen in einem Schiffsbauch kann man ihm das nicht ganz verdenken.

Der entscheidende Punkt folgt natürlich im letzten Kapitel. Jona nimmt sich eine Auszeit. Zieht in die Wüste, meditiert oder zählt die Sandkörner. Ein klassischer Outlaw. Doch Gott lässt ihn nicht los und vor allem er lässt den täubelenden Burschen nicht einfach so davon. Es ist eine pubertäre Szene. Der Prophet will frei sein und selbstbestimmt und erträgt es überhaupt nicht, wenn er sich diesem Gott beugt und dieser dann noch frei und über sein Haupt hinweg entscheidet. Es ist eine dieser Emanzipationsszenen in der Weltliteratur. Aber mit Tiefgang, sie ist weit weniger lächerlich oder ironisch, als man meint. Denn bei jeder Ironie folgt meistens dann der Sarkasmus und die bittere Realität.

Die geschieht mit dem ominösen Rizinus, der wächst und Schatten gibt und die Laune des Propheten merklich hebt. Doch anderntags ist er weg, vom Wurm gestochen. Und der Prophet knickt ein, nach dem Hochgefühl des Für-sich-selbst-Seins folgt die tränen- und wutreiche Depression. Wieder erfährt er sich als Nummer zwei, als der, über den entschieden wird.

Gottes pädagogische Erklärung am Schluss mutet natürlich an, wie die Moral am Ende eines Märchens. Mit dem entscheidenden Unterschied, dass die „Moral von der Geschicht“ nicht in einem flappsigen Wortspiel endet – „spotte deinem Gotte nicht!“ – sondern in der Beschreibung des erwachsenen Menschen. Es ist ein Dilemma. Und das Dilemma wird bei aller Legendenhaftigkeit und Skurilität des Erzählten nicht aufgehoben.

Es ist das Dilemma des erwachsenen Menschen, frei sein zu wollen, autonom und selbstbestimmt, dann aber doch unter dem zu leiden, was passiert und geschieht, eben gerade weil man nicht alles im Griff hat noch je wird im Griff haben können.

Doch in der Haltung, sich selbst als Erstes zu setzen, an der Spitze sein zu wollen, seinen eigenen Erfolg geniessen zu dürfen und alles selbst zu entscheiden, in dieser Haltung kommt es zum Konflikt mit dem, das einen dann widerfährt.

Das beginnt schon im Anfang der Geschichte. Die Sache mit dem Schiff und dem Sturm und dem Wal meint ja: Der Jona will nicht. Nur mit grösster Kraft und ungeheurem Einsatz und Kosten – wo zum Beispiel ist die Ladung des Frachtschiffes geblieben, die die Seeleute in Panik über Bord geworfen haben? Wer trägt die Kosten? Welche Versicherung, welcher Staat, welcher Gott? – nur mit riesigem Einsatz gelingt es, den Jona überhaupt zu Gottes Sprachrohr zu machen.

Welcher andere Prophet hätte sich das getraut? Gewiss, der Amos sieht sich als zu ungebildet an als Bauer; der Jeremia hat immer und stets depressive Laune und war vermutlich wenig beliebt als Redner. Jesaja hatte zwar Erfolg und Schüler, doch Prophet zu sein, wenn das ganze Land erobert wird, ist rein publikumsmässig schwach. Ezechiel, ja der grosse, dem wurde dann posthum ein Denkmal gesetzt – doch ob er seinen Erfolg genoss?

Doch Jona, dieser freche Typ, dem passt es jetzt nicht grad so zu prophezeien. Er hat eben was anderes vor. Er ist eigentlich der moderne Mensch.

Doch Schicksal ist Schicksal und er fügt sich – mit öffentlichem Erfolg und persönlicher Tristesse. Vage erinnert er an Frau Ilsebill im Märchen vom Fischer und seiner Frau. Er ist nie zufrieden. Frau Ilsebill, die nicht so will, fällt am Schluss wieder zurück in ihr einfaches Elend, nachdem sie zu hoch nach den Sternen gegriffen hatte und Gott sein wollte. Das rächt sich.

Jona – hier ist Jahwe Adonai gnädiger – endet mit einer gutmütterlichen Schulmeisterei, einer Moralrede nicht zu sagen. Ob es genützt hat, wissen wir nicht.

Doch wir erkennen uns und die Zeit im Jona umso besser. Eine Zeit der Hypermoral und der Hyperkorrektheit und gleichzeitig einer Gesellschaft, die ob all ihrer klitzekleinen Einzelinteressen auseinander zu fallen droht. Die Sprache wird reglementiert, jeder ist sich sein eigener Gott und reagiert gereizt, wenn die eigene Meinung und die eigene Überzeugung, die eigene Minderheit nicht akzeptiert wird.

Wir begnügen uns nicht mehr mit der Freiheit, selbst zu entscheiden, sondern wollen paradoxerweise auch noch, dass das Publikum stets dazu applaudiert und jede noch so verqueere Einstellung für total richtig und gut beklatscht.

Der Effekt ist aber immer der gleiche: Ganz offensichtlich sind wir Menschen wie ein Fass ohne Boden und es hört nie auf. Sie sehen das in der Politik, wo jedes noch so abstruse Einzelinteresse militant und absolut eingefordert wird. Ich gebe Ihnen nicht zehn Jahre, bis wir im Kirchgemeindehaus mindestens drei Toiletten beschriften müssen.

Gleichzeitig wird der Mensch aber immer unzufriedener. Denn es sind die selbst gefertigten Götter, die ihre Opfer verlangen. Es ist wie der Jona, sich nicht begnügt, Sprachrohr Gottes zu sein, sondern eben mehr sein wollte und dabei den Blick auf das Leben wirklich verloren hat.

An und für sich eine genial-wunderbare Geschichte, weil sie Kritik am Prophetenamt selbst übt. Gerade die Kritik, die heutigen Propheten und Prophetinnen, egal ob es gegen Rassismus, den Fleischkonsum, für oder gegen Migranten, Genderfragen oder das Klima geht, mangelt. Denn Gott stellt den Jona als selbstbezüglichen und frustrierten Egomanen hin: Du Jona, du täubelest und siehst dabei nicht, wie viele Menschen und Tiere ich gerettet habe!

Ein Blickwechsel wäre nötig. Das Eigentliche, das Wahre ist dem Jona aus dem Blickfeld geraten. Er hat sich verrannt. Sein Blick ist getrübt. Und er braucht diesen Gott, der ihm die Brille zurecht rückt und das Mass vorgibt.

Nun ist das alles schneller gesagt und gefordert als getan. Doch nur schon die Tatsache, dass viele Dinge verschieden angesehen werden können, es mindestens zwei Seiten und Betrachtungsweisen gibt, kann heilsam sein.

Ich nenne jetzt nur ein eigenes Beispiel: Da forderten linke Kreise unlängst in Winterthur den Mindestlohn von 4‘000.—Fr. Da ging gleich ein Rumoren durch die Presse und Arbeitgeber wie Gwerbler heulten und kreischten hysterisch auf. Nun mag das vielleicht auch wirklich nicht überall bezahlbar sein und vielleicht ist es auch zuviel. Doch die Überlegung, dass dann die Arbeitnehmer mehr in die Sozialwerke einzahlen müssten, auch für geringe Löhne eine Pensionskasse zur Verfügung stünde und somit im Alter weniger Menschen Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe benötigen, müsste man auch berücksichtigen. Denn es geht auch um den Staat, also um uns und der Staat kann nicht und nie alles und jedem alles bezahlen und einspringen. Es gibt häufig zwei Seiten, schnelle Selbstbezüglichkeit ist schräg.

Jona musste es lernen, ob er es verstanden hat?

Gott erweist sich in diesem Buch als der, der die Sichtweise des Jona ziemlich drastisch zurecht rückt. Zuletzt schmürzelet es dem Jona durch die Sonne fast das Gehirn, ein veritabler Sonnenstich zeigt ihm, wo die Grenzen des Menschen sind. Er ist nicht Gott. Gott ist Gott und Gott ist ein Gott des Lebens und nicht des menschlichen Erfolges.

Er ist ein Gott, der Sorge für das Grosse und Ganze trägt und dies auch unpopulär durchsetzt. Und er zeigt sich als ein Gott, der die Schöpfung durchdringt und vom Walfisch bis zum Wurm und vom einzelnen kleinen Propheten bis zum ganzen Volk die Welt durchdringt.

Da gilt es bescheiden zu werden und den eigenen kleinen Hausgott im Ego auszukehren und den wirklichen Gott anzubeten. Es ist gewiss heilsam.

Amen.

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