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  • AutorenbildMichael Baumann

Predigt zum drittletzten Sonntag im Kirchenjahr

1Th. 5:1 Von den Zeiten aber und Stunden, Brüder und Schwestern, ist es nicht nötig, euch zu schreiben; 2 denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. 3 Wenn sie sagen: »Friede und Sicherheit«, dann überfällt sie schnell das Verderben wie die Wehen eine schwangere Frau, und sie werden nicht entrinnen. 4 Ihr aber seid nicht in der Finsternis, dass der Tag wie ein Dieb über euch komme. 5 Denn ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis. 6 So lasst uns nun nicht schlafen wie die andern, sondern lasst uns wachen und nüchtern sein. 7 Denn die da schlafen, die schlafen des Nachts, und die da betrunken sind, die sind des Nachts betrunken. 8 Wir aber, die wir Kinder des Tages sind, wollen nüchtern sein, angetan mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil. 9 Denn Gott hat uns nicht bestimmt zum Zorn, sondern dazu, die Seligkeit zu besitzen durch unsern Herrn Jesus Christus, 10 der für uns gestorben ist, damit, ob wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben. 11 Darum tröstet euch untereinander und einer erbaue den andern, wie ihr auch tut. 1 Thess 5,1ff.

Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.


Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde


Sicher, man lernt es schon als Kind, es ist nicht fein, auf Leute zu zeigen. Schon gar nicht mit dem Finger. Aber ebenso sicher ist, dass Menschen das immer wieder tun. Dass wir uns abgrenzen und zumindest gedanklich auf die andern zeigen.

Kinder tun das, Jugendliche erst recht: Sie ist eine Bitch, ein Tussi, er ein Looser. Erwachsene denken und sortieren die andern nach Aussehen und in Gruppen. Es gelten Codes, denen man nicht gut und ungestraft widerspricht. Wer in Anzug und Krawatte am Albanifest erscheint, wird vielleicht noch als Sonderling betrachtet; gehst du in Shorts und Underhämd an ein Hochzeit oder eine Beerdigung, wird das gewiss nicht goutiert.

Wir sortieren nach dem Auto, deiner Frisur, deinem Parfüm und nach Schmuck. Männer, die eine dicke fette Kette um den Hals tragen, sind Räpper, Möchtegern Gängster, Russen oder Albaner, oder haben zuviele Serien geschaut.

Menschen denken in Gruppen. Wir können gar nicht anders. Wir müssen einteilen. Auch die Tiere teilen ein, alle, vom Goldfisch bis zum Schwein: Das stärckste hat den wärmsten Platz; der Leitwolf frisst zuerst, die Chefhenne sucht sich ihre Lieblingsstängeli aus. Man sagt dem Hierarchie.

Auch Paulus, der Apostel teilt in Gruppen ein. Die da und wir. Er macht eine Hierarchie. Die andern und wir. Das ist zuerst einmal ganz gute Rhetorik. Es ist verständlich. Me chunnt druus.

Die andern sehen etwas falsch, nicht richtig, sind verblendet. Wir sind anders. Wer zu uns gehört, sieht es richtig.

Man könnte da nun an billige Propaganda denken. Nach dem Motto: Wer zu uns hält, schützt die Armen, die kranken Kinder, die Traurigen. Die andern sind bös. Schlecht. Übel.

Aber so einfach ist Paulus nicht und vor allem nicht so naiv.

Er unterscheidet nicht moralisch nach Gruppen, sondern nach Erfahrung. Nach Glauben.

Und er weiss ganz genau: Es ist nicht so einfach zu wissen, wer in die Gruppe der Gläubigen gehört. Das ist der Witz an seinem Einteilen.

Paulus weiss: Das Einteilen in Gruppen ist wichtig, aber ist es auch so einfach? Und was bedeutet es, wenn man selbst in Gruppen eingeteilt wird? Was macht das mit dir?

Es wäre ja so schön: Wir wären die guten. Wir gehörten in die Gruppe derer, die glaubt und stark ist. Wir gehörten in die Gruppe derer, die Kinder des Lichts genannt werden.

Kind des Lichts, das meint: Du hast es nur gut. Dir gelingt alles. Du hast Erfolg, du hast brave und erfolgreiche Kinder. Man sieht dir an, dass das Leben gelingt.

Doch der Apostel unterläuft dieses Einteilen schon zu Beginn: Selbst der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. Leise, heimlich, hinderüxli, erwischt die meisten auf dem falschen Fuss.

Der Tag des Herrn? Das meint: Der Tag der Rettung – und des Gerichts. In der Sprache des Apostels eigentlich die Wiederkunft Christi, der Punkt, auf den alle Christen hoffen – und doch auch Angst haben davor. Ist er nicht auf der Tag des Gerichts und der Abrechnung?

Es ist ambivalent – doppelt für die Christen: Da Rettung und Hilfe – da Abrechnung und Angst.

Was aber heisst das, wenn selbst die Wiederkunft Christi heimlich und hinderüxli kommt und uns auf dem falschen Fuss erwischt?

Es heisst, dass Menschen eben niemals sicher sein können. Wir hätten es gerne, wir teilen in Gruppen ein, um sicher zu sein; wir schliessen Versicherungen ab, um gerüstet zu sein; wir machen Verträge, Patientenverfügungen und Dokumente; wir planen und stellen uns vor, wie dieses und jenes ist um zu merken: Das allermeiste, das wir so produzieren und abschliessen ist schon Makulatur und überholt, wenn es aus dem Drucker kommt. Weil die Welt sich nicht in Regeln pressen lässt. Denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Sogar der Tag des Herrn. Erst recht, wenn wir sagen: Jetzt haben wir Frieden. Jetzt haben wir Sicherheit. Jetzt ist alles gut – und schon kommt das nächste.

Ja, du wärst gern Kind des Tages und des Lichts. Aber die Welt ist wie die Wehe der Schwangeren: Sie kommt und überrollt dich.

Natürlich, man kann sich wappnen, versuchen allem vorzusorgen. Das ist gut. Das ist sogar sehr gut, denn es gibt auch die, die der Hinderüxlikeit der Welt mit Fatalität begegnen: Wenn alles schon kommt, wie es muss, dann tun wir nichts. Dann lassen wir es kommen.

Paulus sagt denen: Es sind die, die schlafen. Schlafkappen, Verschlafene, sie schlafen immer. Sie sind immer zu spät. Mit ihnen lässt sich wahrlich keinen Staat machen.

Und es gibt die, die den Trost im Alkohol suchen. Oder einer andern Sucht. Sie fliehen. Sie sind betrunken, des Nachts wie am Tag. Sie sind gar nicht zu gebrauchen. Immerhin: Sie merken auch nicht mehr viel.

Was aber mit allen andern?

Ihnen rät der Apostel, den Glauben anzuziehen wie einen Panzer und einen Helm der Hoffnung.

Sich warm anziehen angesichts der Kälte. Sich zu rüsten angesichts der Bedrohung. Das mag nun euch vielleicht erstaunen. Rät der Apostel hier nicht eben das, was wir sonst auch schon tun? Ist das nicht paradox?

Einerseits ja, gewiss. Menschen sind Menschen, wir können nicht aus unserer Haut, jedenfalls nicht, ohne Schmerz und Verlust. Andererseits ist ja auch die Formulierung, den Glauben und die Hoffnung als Panzer und Helm zu verwenden, exquisit um nicht zu sagen leicht schräg. Es ist selbst paradox. Wie wenn ich Brennsprit zum Löschen eines Feuers verwenden würde. Und doch wissen wir: Manchmal ist das Paradoxe, das Widersprüchlich auch das, was einzig weiter hilft. Wer einen Waldbrand löschen will, legt nicht selten gleich extra Feuer – um den wirklich gefährlichen Feuer die Nahrung weg zu nehmen.

Und in der Sozialarbeit gilt schon lange: Oft sind die widersprüchlichsten Interventionen die, die Menschen aus selbst und fremdgezimmerten Gefängnissen befreien.

Der Glaube und die Hoffnung auf den rettenden Gott soll dir helfen, aus dem Gefängnis der Angst und der Befürchtungen zu fliehen.

Das, was gerade nicht bewiesen und eindeutig fest gelegt werden kann; das, was gerade nicht objektiv und anerkannt ist; das, soll uns trösten? Uns halten angesichts all dessen, was den Bach herunter geht?

Genau. Paulus nahm vermutlich seine eigene Gegenwart und Zeit nicht so sehr anders wahr, als wir. Alle unsere Generationen vor uns mussten mit grossen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten leben. Nichts war sicher. Noch unser Grossmuetti sprach mit Jahrgang 1905 davon, dass jede Generation mindestens einen Krieg durchlebt.

Unsicherheiten und Überfälle von Dieben in der Nacht. Das ist normal, für Paulus nichts neues.

Der Panzer des Glaubens und der Helm der Hoffnung sind zwar paradox, aber gleichzeitig die richtigen Ausrüstungsgegenstände, modern Gear genannt.

Das meint: Nicht wir haben es im Griff, es dich im Griff.

Nur Gott entzieht sich dem allgewaltigen Griff der Welt, indem er dir Christus, Jesus von Nazareth zur Seite stellt. Den kannst du aber nicht sehen. Und du kannst ihn nicht kaufen, weder in Zalando noch in der Transa. Du kannst nur an ihn glauben. Dann ist er da indem er mit uns lebt.

Das ist vielleicht das schönste Bild in diesem Abschnitt – obwohl: Die Sache mit dem Panzer und dem Helm gefällt mir extrem gut –, dass Christus mit dir lebt und wir mit ihm – wenn wir schlafen oder wachen.

Die Paradoxie der Welt endet bei Paulus in der Parallelität: Gott, Christus, ist parallel zu dir. Nicht oben, nicht unten, sondern parallel: Ein Begleiter. Du bist nicht allein.

Auf diese Idee muss man auch in der Antike erst einmal kommen: Nicht ein Gott, der vielleicht mal kurz ein Bsüechli macht, wie die Griechischen Götter. Oder irgendwo sein eigenes Ding dreht, wie alle andern. Nein, ein Gott, der mit dir lebt. Parallel, da. Und der mit dir durch die Wirklichkeit, das Leben geht. Den die Welt auch hinderüxli immer wieder überfällt und der auch immer wieder vor anderen Situationen steht. Aber der da ist.

Das ist der Gott, der wirklich für dich Schutz und Helm ist. Und davon sollen wir untereinander erzählen und berichten, weil es gut tut. Weil es tröstet. Und weil es Kraft gibt.

Amen.



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