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AutorenbildMichael Baumann

Predigt zum dritten Sonntag nach Epiphanias

24. Januar 2021

1 Zu der Zeit, als die Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande. Und ein Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort als Fremdling zu wohnen, mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen. 2 Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und als sie ins Land der Moabiter gekommen waren, blieben sie dort. 3 Und Elimelech, Noomis Mann, starb, und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen. 4 Die nahmen sich moabitische Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Rut. Und als sie ungefähr zehn Jahre dort gewohnt hatten, 5starben auch die beiden, Machlon und Kiljon. Und die Frau blieb zurück ohne ihre beiden Söhne und ohne ihren Mann. 6 Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und azog aus dem Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass der HERR sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte. 7 Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden Schwiegertöchter mit ihr. Und als sie unterwegs waren, um ins Land Juda zurückzukehren, 8 sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Geht hin und kehrt um, eine jede ins Haus ihrer Mutter! Der HERR tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den Toten und an mir getan habt. 9 Der HERR gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in ihres Mannes Hause! Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten 10 und sprachen zu ihr: Wir wollen mit dir zu deinem Volk gehen. 11 Aber Noomi sprach: Kehrt um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Wie kann ich noch einmal Kinder in meinem Schoße haben, die eure Männer werden könnten? 12 Kehrt um, meine Töchter, und geht hin; denn ich bin nun zu alt, um wieder einem Mann zu gehören. Und wenn ich dächte: Ich habe noch Hoffnung!, und diese Nacht einem Mann gehörte und Söhne gebären würde, 13 wolltet ihr warten, bis sie groß würden? Wolltet ihr euch einschließen und keinem Mann gehören? Nicht doch, meine Töchter! Mein Los ist zu bitter für euch, denn des HERRN Hand hat mich getroffen. 14 Da erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr. Und Orpa küsste ihre Schwiegermutter, Rut aber ließ nicht von ihr. 15 Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach. 16 Rut antwortete: Bedränge mich nicht, dass ich dich verlassen und von dir umkehren sollte. Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. 17 Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der HERR tue mir dies und das, nur der Tod wird mich und dich scheiden. 18 Als sie nun sah, dass sie festen Sinnes war, mit ihr zu gehen, ließ sie ab, ihr zuzureden. 19 So gingen die beiden miteinander, bis sie nach Bethlehem kamen. Und als sie nach Bethlehem hineinkamen, erregte sich die ganze Stadt über sie, und die Frauen sprachen: Ist das die Noomi? Ruth 1,1-19

Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.


Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde


Ruth, die Frau, die dem Buch von lediglich vier kurzen Kapiteln den Namen gab, Ruth ist eine von vier Stammmüttern von Jesus.

Neben Tamar und Rahab aus den Urgeschichten wird neben ihr nur noch Batseba, die wunderschöne Zweitfrau von König David dazu gezählt, sie, die David beim Bade beobachtete und dann ihren Mann beseitigen liess.

Ruth ist dabei die einzige Ausländerin, sie stammt aus Moab. Und die Moabiter umgab seit alters das Gerücht, eben anders zu sein, zügellos, geheimnisvoll, sie waren für die gesetzestreuen Israeliten das, als was bei uns die Südländer galten. Gerade Frauen hatten sich vor Moabitern in acht zu nehmen.

Nun beginnt die Geschichte aber nicht so, sondern anders. Denn eigentlich handelt das erste Kapitel fast nur von Noomi, der Schwiegermutter Ruths. Es ist ein Schwiegermutterkapitel. Noomi ist eine wichtige Figur, raffinierte Frau und sie wurde stets unterschätzt.

Dewnn Noomi hatte einst in Moab mit ihrem Mann Auskommen und eine neue Heimat gefunden.

Sie zogen des Hungers wegen nach Bet-Lächäm, nach Brothausen. Und dort kamen auch ihre Söhne zur Welt, Machlon und Kiljon. Doch wie die Namen schon sagen, sie waren nicht von guter Gesundheit. Machlon heisst der Schwächling, Kiljon ist der Gebrechliche. Man kann sich über die Namensgebung ja schon wundern. Immerhin ist es ein Akt der Ehrlichkeit, wer sich professionell mit Taufen befasst, kann sich ja manchmal schon auch heute über die Namensgebungen der Eltern wundern.

Offenbar war Noomi schon bei der Geburt Realistin. Und wir sehen: Das schwächliche Geschlecht ist in dieser Geschichte eindeutig das männliche. Das ist etwas betrüblich zuerst, später taucht dann doch noch eine Retterfigur auf, die etwas machohaft in Erscheinung tritt.

Wie auch immer. Die Namen in dieser Geschichte sind Programm. Noomi, die Liebliche, heiratete den Elimäläch, Gott ist mein König. Doch der fromme Ehemann stirbt als erster in der Fremde. Sein Name ist eher Persiflage denn Wirklichkeit, aber auch das kann es geben. Nicht jeder, der Hugo Boss auf seinem T-Shirt trägt ist ein Boss und nicht in jedem Mollerüs-Täschchen verbirgt sich eine Platinkarte. Der Schein trügt in der Welt – auch darum geht es in dieser kurzen Erzählung.

Immerhin, die beiden Knaben Noomis heiraten Frauen, bevor auch sie sterben. Und die beiden Schwiegertöchter besitzen ebenfalls interessante Namen. Orpa bedeutet die, die umkehrt. Ruth ist die Sehende.

Als nun Mann wie Söhne sterben, steht für die fremde Noomi ihre Existenz auf dem Spiel. Sie hat kein Anrecht mehr auf Versorgung. In Zeiten knapper Ressourcen hat eine alte Mutter, deren Söhne verstorben sind, keine Versicherung und als Fremde auch kein Recht, von andern versorgt zu werden. Das fremde Land hat ihnen in der Vergangenheit die Türen geöffnet, sie ernährt und Zukunft gegeben. Doch alles hat seine Zeit und weder Moab noch Israel sind Paradiesgärten, wo jeder sich nur bedienen kann.

Diese harte Realität ist Noomi mehr als bewusst, als sie sich entschliesst, wieder zurück nach Israel zu wandern. Nirgends sonst als in ihrer alten Heimat kann sie Anspruch erheben, dass man sie doch noch unterstützt. Sie ist sich dessen wohl bewusst und zieht als emanzipierte Witwe die richtigen Schlüsse.

Sie hegt überdies offenbar keinen Groll gegenüber den Moabitern. Recht ist Recht und Gesetz ist Gesetz. Und zudem wird erwähnt, dass sich die Lage in Israel in den dazwischen liegenden Jahren auch gebessert habe. Gott hat seinem Volk wieder Brot geschenkt. Die Witwe Noomi ist also nicht nur die arme, verwitwete und allein gelassene Alte, sondern durchaus selbstbestimmt die Frau, die ihr Schicksal in die Hände nimmt.

Und obwohl sie ihre Schwiegertöchter offenbar gern bekommen hat und sie liebt, ist sie Realistin genug: Es gibt auch in Israel keine Garantie, dass man die beiden jungen Frauen aufnimmt und versorgt.

Also will sie sie lieber zu ihren angestammten Familien zurück schicken. Noomi ist die kluge, gar raffinierte Seniorin, die plant, klug ist und die Zukunft in die Hände nimmt.

Orpa, die die zurück kehrt, kehrt auch wirklich zu ihrer Familie zurück. Schweren Herzens verabschiedet sie sich. Für sie ist nun gesorgt. Doch Ruth, die andere, will partout nicht umkehren. Sie hält zur ihrer Schwiegermutter und hat deren Glauben übernommen.

Über die Hintergründe schweigt sich die Geschichte aus. Es bleibt Rätsel wie Mysterium. Das meint: Sowohl die Glaubensüberzeugung wie auch die Liebe unter Menschen sind letztlich unergründlich. Sie wurzeln derart tief im Menschen und unserer Seele, sie können nicht restlos erklärt und verdinglich werden. Sie sind uns entzogen. Es ist Wunder und Offenbarung gleichermassen.

Wer einen andern Menschen liebt, der liebt ihn. Wer glaubt, der glaubt. Zu dieser Erkenntnis muss man auch gerade in Zeiten der Selbstoptimierung und des Machbarkeitswahns stehen. Es ist nicht alles therapierbar und muss nicht alles analysiert werden. Ruth liebt nunmal ihre Schwiegermutter. Das ist zwar widervernünftig und stur, aber es ist so. Und sie hat den Glauben der Israeliten übernommen, warum sollte sie ihn dann auch einer Hungersnot oder dreier Todesfälle wegen wieder wechseln? Geschah denn nicht schon genug an Unbill und Tragik, dass es das jetzt nicht auch noch braucht?

Die Schwiegertochter Ruth hält an dem fest, was sie erlangt und erreicht hat. Damit zeugt auch sie von einem bemerkenswerten Verstand und Realitätssinn. Der Mensch kann nur mit einer beschränkten Zahl von Wechseln und Unsicherheiten umgehen. Irgendwann ist genug. Für Ruth ist das erreicht. Sie hat in ihrer Schwiegermutter einen Fels in Brandung, einen Anker gefunden.

Vielleicht ist die sehende Ruth weit weniger stark, als angenommen. Aber sie ist Praktikerin und gewichtet aus ihrer momentanen Situation.

Und das lässt sie nun die gewonnene und gestaltete Beziehung bewahren. „Wo du hin gehst, das werde auch ich übernachten; denn dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“

So lautet der berühmte Treueschwur Ruths. Aber das ist natürlich weit untertrieben, denn es fasst zusammen, was jede Grenzüberschreitung, jeden Wechsel der Nation, jeder Auszug meint: Man lässt sich auf Fremdes ein, das weit mehr die eigene Identität verändert, als man als Mensch vermutlich erahnen kann.

„Uuf und dervo“ ist die blass-dünnliche Softlösung davon. Eher weit realer ist alles Scheitern in der Ferne. Denn was das meint, diese bedingungslose Treue der Ruth zu ihrer Schwiegermutter, das Übernehmen des andern Glaubens, das Bekenntnis zu diesem neuen Gott, das wird nicht erzählt.

Es wird in Bildern gesprochen. Und die beiden Frauen machen sich auf den Weg und kommen just nach Bethlehem, wo die Gerstenernte beginnt. Tiefsinnige Bilder: Sie stranden an jenem Ort, wo einst der Heiland zur Welt kommen soll. Sie kommen an den Ort, wo das Brot eingebracht wird. Sie finden Rettung und Hilfe und man nimmt sich ihrer an. Doch sie haben selbst das in die Wege leiten müssen. Das gibt zu denken, finde ich.

Amen.

Julius Schnorr von Carolsfeld, Rut auf dem Feld des Boaz, 1828; (c) Wikipedia, gemeinfrei

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