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AutorenbildMichael Baumann

Predigt zum ersten Sonntag nach Trinitatis

Aktualisiert: 21. Juni 2020

14.6.2020

32 Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele, und nicht einer nannte etwas von dem, was er besass, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. 33 Und mit grosser Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung des Herrn Jesus, und grosse Gnade ruhte auf ihnen allen. 34 Ja, es gab niemanden unter ihnen, der Not litt, denn die, welche Land oder Häuser besassen, verkauften, was sie hatten, und brachten den Erlös des Verkauften 35 und legten ihn den Aposteln zu Füssen; und es wurde einem jeden zuteil, was er nötig hatte. 36 Josef aber, der von den Aposteln den Beinamen Barnabas erhalten hatte, das heisst ‹Sohn des Trostes›, ein Levit, der aus Zypern stammte 37 und einen Acker besass, verkaufte ihn, brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füssen.

Apostelgeschichte 4


Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.



Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde

Diesen Abschnitt aus der Apostelgeschichte hören wir in Kirchen selten. Es ist ein utopischer Abschnitt, eine Schilderung, wie die wirklichen Christen unter dem Zeichen von Gottes Geist nach Pfingsten leben. Lukas, der Evangelist und Verfasser der Apostelgeschichte schildert die Gemeinde, nachdem sie an Pfingsten Gottes Geist empfangen haben und sich die Gemeinschaft ganz auf das Ende und die Wiederkunft Christi ausrichtet.

Doch leider spielt das immer noch in dieser Welt und die Welt empfängt die Christen nicht mit Wohlwollen. So wird kurz vor dieser Beschreibung erzählt, wie Petrus und Johannes vom hohen Rat in Jerusalem verhaftet und verhört wurden. Wunderbarerweise liess man sie wieder frei, doch ganz offensichtlich war das Misstrauen gesät und mit dieser Christengemeinde war nicht alles geheuer.

Sie sind anders. Sie sondern sich irgendwie ab. Sie leben nicht so, wie man normalerweise lebt. Sie sind gspässig.

Das ist das zugrundeliegende Thema dieser Schilderung. In Erwartung, dass alles ganz anders werden und sein könnte, versucht die Gemeinde sich auf die Wiederkunft Christi vorzubereiten.

Und die Ernsthaftigkeit, mit der Christen aus dem Trott des Alltags ausbrechen wollen, macht Eindruck.

Sie sind Aussteiger. Sie sind der Fingerzeig und der Sauerteig für die Gesellschaft. Sie imponieren so, dass sogar ein eingewanderter Levit aus Zypern seinen Grund und Boden verkauft und die Gemeinschaft unterstützt. Josef Barnabas verzichtet auf sein Erbe und gibt dieses in die Gemeinde.

Soweit die Schilderung von Lukas, die ganz offenbar eine sozialutopische Wirklichkeit schildern. Es erinnert in der Kürze fatal an alle Besitzutopien in der Geschichte bis zur Gegenwart, wo immer wieder und gern darüber philosophiert und schwadroniert wird, wie es wäre, hätten alle gleich viel. Oder genug. Oder müssten dafür nichts tun. Bedingungsloses Grundeinkommen, Konsumverzicht, Steuergerechtigkeit, Gerechtes Einkommen und keine Herrschaft des Geldes.

Was dabei zu kurz kommt: Wir unterschätzen die Brillianz des Lukas, wenn wir ihn als einen Utopisten schimpfen, der hier mit links-sozialistischen Idealen sympathisiert. Lukas hat einen sehr feinen Humor. Denn wenige Verse nach der schönen Besitzutopie, wo alle in der Gemeinde genug haben und ihren Besitz gerne teilen, folgt die schauerliche Geschichte von Saphira und Annanias.

Die beiden, ein schelmisches Paar, sind das Gegenstuck zum frommen Johannes Barnabas, genannt der Tröster. Saphira und Annanias sind reich. Erfolgreich. Klug und verschmitzt. Auch sie verkaufen ihren Acker, ihr Grundstück. Und spenden.

Sie spenden, weil man das tut. Weil das in der Antike gang und gäbe war und weil in der Antike, vor allem in Rom, mit dem Spenden an die Öffentlichkeit, mit Theaterspielen, Essen und Feiern, auch mit Zirkusspielen und Triumphzügen – heute wären es Fussballturniere und Chilbis – die Superreichen der Gesellschaft zurück gaben, was sie ihr schuldig zu sein glaubten. Man arbeitete an seinem Ruhm. Wer etwas auf sich hielt, der spendete. Man liess sich nicht lumpen.

So auch Saphira und Annanias. Doch weil sie klug sind, behalten sie einen kleinen Teil des Erlöses auf der Seite. Man weiss ja nie. Es erinnert fatal an Gottlieb Duttweiler, den Migros Gründer und genialen Unternehmer, der einst in einem frühen Portrait schwimmend in seinem Pool auf die Frage eines Journalisten, warum er denn sein ganzes Vermögen in die Genossenschaft eingebracht habe, verkündete: „Für den Notfall habe ich noch das eine oder andere Milliönchen.“

Saphira und Annanias behalten also ein Milliönchen zurück. Doch wehe, Gottes Geist hat das Petrus, den eben freigelassenen, eingebleut und er stellt Annanias zu rede. Warum hast du dein Herz an das Geld gehängt? Warum unterschlägst du es Gott?

Und Annanias fällt tot zu Boden. Und weil Saphira auch stur ist und leugnet geschieht mit ihr das gleiche. Wer nicht hören will, muss fühlen. Wer nicht spenden will, dem nehmen wir es weg. Heute hiesse das Enteignung.

Nun müssen wir auf den feinen Humor des Lukas achten. Denn ganz offensichtlich war ihm, dem Evangelisten, schon klar, dass die Eigentumsfrage und die Sache mit dem Geld und dem Glauben nicht so einfach ist. Vor allem geschieht es nicht so freiwillig, wie wir gerne hätten.

Wie wir uns vorstellen würden. Und vor allem ist es nicht so allgemein und umfassend, sondern individuell.

Der eine hängt an seinem Besitz, der andere teilt sehr gern. Niemand anderem als dem grossen Dichter Horaz war das sehr bewusst. „O Bürger, Bürger! Zuerst muss man Geld verdienen, erst dann kommt die Tugend!“ schrieb er in seinen Briefen. Aber er dichtete auch: „Wo sich das Geld mehrt, da folgen die Sorgen nach!“.

Was Lukas eigentlich erkannte – und darum meine ich, gehören eben die biblischen Schriftsteller zur wahren Weltliteratur – ist das Wesen des Geldes. Geld ermöglicht Tausch und Wert.

Geld an und für sich ist völlig tot. Darum sterben Annanias und Saphira so schröcklich, weil sie von etwas Totem Leben erhoffen.

Leben aber gibt nur Gott und beispielhaft ist das die Gemeinschaft der Gläubigen, die auf Gottes Wirkung und Geist hoffen. Die vom Leben spendenden Gott träumen und sich von ihm bestärken lassen.

Geld und Vermögen ermöglichen den Tausch. Der Tausch ist aber auch nur der Vollzug um zu zeigen, was dem Menschen etwas Wert ist.

Es geht Lukas darum, die Werteskala zu verändern.

Wer Gut und Geld einsetzt, der zeigt sich und den andern, was ihm Wert ist. Was für ihn wertvoll ist.

Wertvoll ist für die kleine Gemeinschaft der verfolgten Christen ihre Gemeinschaft. Sie sind auf Gedeih und Verderben aufeinander angewiesen. Sie sind so auf sich angewiesen, dass sogar die Eigentumsverhältnisse nicht mehr zählen.

Sie leben miteinander, wie Kinder mit ihren Eltern. Kinder stellen – zumindest solange sich ein gewisse Alter nicht erreicht haben – keine Wert- und Eigentumsfragen. Irgendwann allerdings gehört das Schoggistängeli und der Mohrenkopf dann aber deutlich mir…

Eltern teilen unbedingt. Auch hier: Nicht immer und ewig, aber ohne bedingungsloses Teilen keine Familie und keine Kinder. Die Mutter teilt ihr Leben bedingungslos mit ihrem Ungeborenen und dann Neugeborenen.

Der Vater teilt – das die erste grosse Rechtsschöpfung des Menschen – dann seine Vaterschaft mit dem Sohn und der Tochter. Schimpansen kennen kein Vaterschaftsrecht. Menschen schon.

Recht und Vater, Leben und Mutter gehören zusammen und symbolisieren das primär im Leben Wertvolle.

Dafür steht die Urgemeinde unter Gottes Geist. Sie teilen Zugehörigkeit und Leben miteinander, weil sie so leben wollen aber auch nicht anders können. Denn – die Verhaftung von Petrus und Johannes zeigen es an – die Welt ist bedrohlich. Sie Welt nimmt dir, was du zum Leben brauchst und nötig hast. Die Welt ist nicht gütig.

Doch wehe dem, der sich in Utopie und Sozialwellness flüchtet: Saphira und Annanias stehen dafür. Sie misstrauen – vielleicht mit gutem Grund! – der Utopie. Und behalten ihr Milliönchen unter der Bettdecke. Aber genau damit zeigen sie, dass sie der Lebensgemeinschaft misstrauen und sich nicht wirklich getragen fühlen.

Lukas stellt in seiner legendenhaften Zusammenstellung nicht nur die Frage nach den Werten des Lebens und der umstürzlerischen Energie des Glaubens. Er zeigt auch klar, dass Glauben und Welt in einem ewigen Ringen gefangen sind. Glaubensgemeinschaften haben sich in dieser Welt zu bewähren. Sie müssen ganz einfach von etwas leben. Es braucht Futterkrippen und Fleischtöpfe – ohne Mampf kein Kampf und kein Gebet.

Und gleichzeitig verschiebt sich im Glauben die Werteskala. So wie in Notzeiten für ein Stück Brot auch die teuerste Goldkette hingegeben wird, so kann Glauben und Glaubensgemeinschaft allen irdischen Besitz überwiegen.

Wir sollten darüber nicht lachen. Wir sollten das aber auch nicht unhinterfragt zum allgemeinen Massstab machen. Denn die Frage ist nicht, wer was und wieviel gibt, sondern wem was wieviel Wert ist und was im Leben tatsächlich von Belang sein kann.

Anhand des Geldes wird über den Wert von Leben philosophiert. Und hier gibt es für den Evangelisten wirklich keinen Zweifel: Leben ist unbedingt wertvoll. Denn Gott steht für das Leben und er ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes.

Amen.

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