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AutorenbildMichael Baumann

Predigt vom 14. März 2021


20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die hinaufzogen, um am Fest teilzunehmen. 21 Die traten nun an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22 Philippus geht und sagt es Andreas; Andreas und Philippus gehen und sagen es Jesus. 23 Jesus aber antwortet ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben liebt, verliert es; und wer sein Leben in dieser Welt hasst, wird es bewahren ins ewige Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.

Johannes 12,20ff.


Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde


Eigentlich spricht es ja für Jesus, modern gedacht, dass er Erfolg hat. Da scheinen sich sogar in Jerusalem anwesende Touristen für ihn zu interessieren. Griechen, sogenannt „Fromme“, die zur Festzeit in Jerusalem sind. Sie stammten vermutlich aus den griechischen Städten entlang der Mittelmeerküste und sie stehen dem Judentum nahe, obwohl sie nicht ganz Juden wurden.

Zum einen sind es gewiss Unbeschnittene, doch das stellte nicht das grosse Problem dar. Vielmehr entstammen sie nichtjüdischer Familien, besitzen keine jüdische Mutter. Und sie hielten auch nicht alle Gebote ein, konnten dies kaum, weil sie eben am Rand der jüdischen Gemeinschaft lebten.

Für die ganz strengen Juden war dies noch Jahrhunderte lang ein Problem, vor allem das gemeinsame Essen mit zwar Interessierten, aber doch Nicht-Zugehörigen stellte die jüdischen Gemeinschaften auf eine harte Probe. Es geht nicht an, dass du mit einem, der nicht dazu gehört, deinen Bissen in die gleiche Schüssel tunkst.

Andererseits waren die oft gebildeten Griechen, Männer wie Frauen, sehr interessiert. Denn im antiken Schmelztiegel der Ideen und Religionen war das Judentum exotisch und speziell.

Es galt die alte Regel: Wo nicht jeder einfach so Mitglied werden kann, was exklusiv ist, das ist besonders und begehrt. So die Socialapp Clubhouse.

Wer also so gestimmt als zugewandter Grieche sogar eine Wallfahrt nach Jerusalem machte, war gewiss hellhörig. Und nach dem doppeldeutigen Einzug Jesu in Jerusalem war dieser in aller Munde. Sie fragen sich durch und gelangen über Philippus und Andreas an Jesus selbst. Doch ob die Touristen ihn wirklich trafen?

Jesus antwortet in scheinbar widersprüchlichen Sätzen. Ja man hat schon darüber gerätselt, ob hier nicht ein erzählerischer Sprung vorliege – auf der einen Seite angekündigte Besucher, auf der anderen Seite ein völlig unpassender Kommentar.

Es läutet an der Türe, jemand kommt zu Besuch. Doch unsere Reaktion wäre ein Meditationssatz über das Leben, die Welt, den Kosmos. Abstrakt – Bruch der Wirklichkeit – beginnender Irrsinn?

Und dann die Worte vom Weizenkorn und vom Leben – was wurde da nicht alles hinein gedeutet und hineingeheimnisst. Gerade in der Osterzeit und im Hinblick auf Jesu Sterben wurde das Weizenkorn zum Inbild christlicher Hoffnung und Symbolik. Sehen wir nur auf unsere eigene Osterkerze vom letzten Jahr, so leuchtet das ein.

Ich meine aber, wir erliegen einem Missverständnis.

Erstens haben wir einmal davon auszugehen, dass Johannes, der Evangelist nicht wahnsinnig oder irre war. Sein Evangelium hat eine Strategie, ist erdacht, macht Sinn. Weder faselt er munter drauf los noch bietet er eine dadaistische Collage.

Jesus spricht zuerst über die Sichtbarkeit des Menschensohnes. Die Welt soll ihn sehen – darum sind die Griechen gewiss willkommen, wenn sie denn verstehen.

Ja, die Stunde ist gekommen. Willkommen Welt – und wer würde nicht für die Welt stehen, wenn nicht die von weit her angereisten Griechen, wenn schon die Jerusalemer Stadtbevölkerung in Jesus eher den Befreiungshelden sehen wollte als den Verkünder des Gottesreiches und den Menschensohn?

Die Botschaft ist ernst: Die Juden wollten den wahren Christus nicht sehen, hingegen die nur lose dazugehörigen Griechen.

In die gleiche Richtung geht sodann das Wort vom Weizenkorn. Auch hier meine ich, ist Jesus viel klarer, als wir vermuten oder hineingeheimnissen. Denn weder deutet Jesus sein eigenes Leben als Weizenkorn, noch spricht er davon, dass er selbst hundertfältig auferstehen werde. Es geht vermutlich zuerst überhaupt nicht um den Tod und nicht um die Auferstehung, es geht um die Botschaft.

Der tiefere Sinn meint: das Weizenkorn soll aufblühen. Damit es aufblüht und gedeiht, muss es gesät werden. Körner allein sind monadisch. Sie ruhen. Sie sind schon tot. Sie tun nichts – schlimmstenfalls faulen sie, bestenfalls kann man mit ihnen säen. Aber es braucht die Handlung, das Ausstreuen.

Jesus geht es um die Frucht. Sein Wort ist das Korn. Und diese Worte sollen gestreut werden, verkündet, verbreitet. Dabei ist völlig klar: der allergrösste Teil der gestreuten Worte verhallen ungehört, ohne Echo, ohne Wirkung. Jesus von Nazareth gibt sich nicht der Illusion hin, dass er in dieser Welt etwas anderes oder besseres wäre, als jeder andere Prediger, Botschafter, Lehrer oder Philosoph. Es braucht ein gehöriges Mass an Glück und Bereitschaft, wenn Menschen auf Menschen hören. Und es braucht die nötige Sturheit, Abgebrühtheit und vielleicht auch Impertinenz, immer wieder zu predigen und zu reden.

Nichts kommt von nichts. Nur wer sich für sein Anliegen einsetzt, der gelangt zur Wirkung. Und Jesus will dass sein Jünger und Anhänger sich für diese Botschaft einsetzen.

Er und Gott wollen keine beamtete Verwalter. Wer verwaltet, der kommt zu spät. Den Mutigen gehört die Welt.

Wann wenn nicht jetzt sehen wir, was reine Verwalter und Verwalterinnen anrichten. Seit 12 Monaten wird die Corona-Krise verwaltet. Verordnet, mit Massnahmen und Gesetzen eingegrenzt. Und immer und überall sind andere schuld. Oder zuständig. Nur ja nichts falsch machen, also lieber nichts machen. Denn es gibt für alles Gründe.

Doch das Wort vom Leben stimmt mit dem nicht überein. Das Wort vom Leben avoziert, spielt mit den berühmten griechischen Tragödien. Gerade im Bewahren des Lebens wird zuviel verschenkt.

Gewiss, Jesus redet nicht der Hazardeuren das Wort und fordert nicht zu Waghalsigkeit auf. Und er spricht gewiss nicht von leichtsinniger Herdenimmunität und stellt sich nicht in die Reihe der gleichsam irren wie tumben Verschwörungsgläubigen, Maskenängstigen und Impfgegnerinnen.

Aber Jesus sagt: Wer Leben gewinnen will, muss wagen. Muss in Bewegung bleiben und darf sich nicht zum Massstab aller Dinge machen. Und: Das Ziel ist für Jesus das ewige Leben.

Huh, ganz schiefes Wort, ganz übel: Wer das heute verwendet, wird sehr schräg angesehen. Ewiges Leben, wer glaubt denn noch daran? Völlig hypothetisch, völlig unbewiesen, total abgefahren.

Doch es ist der Dreh- und Angelpunkt von Jesu eigener Predigt: Rechnet mit dem Vater im Himmel – das ist das Gottesreich. Rechnet mit Gott – wer nicht mit Gott rechnet, wer Jesus zum Lehrer, zum Sozialapostel, zum Drittwelt-Versteher oder zum Anwalt der geschundenen Erde macht, zielt messerscharf an ihm vorbei.

Das alles wird in seine Predigt hineingelesen, kann durchaus dann aus ihm herausgelesen werden oder man kann sich dem widmen. Aber Jesu Predigt meint: Achtet auf den Herrn im Himmel – darum ist der Menschensohn hier.

Achtet auf das ewige Leben – achtet auf Gott und seid euch dem Weg bewusst, auf dem ihr geht. Wer mit mir geht, wird Anerkennung finden. Wer nicht mit mir geht, weil er oder sie nicht mir dienen will, geht in die Irre.

In die Irre geht, wer auf die Weltöffentlichkeit schielt, auf Erfolg und Ansehen. Auf Wählerstimmen und digitales Echo. Doch wer auf Gott schielt, der und die finden Anerkennung und Achtung vor Gott.

Nehmt Unannehmlichkeiten auf euch – rief der französische Philosoph Blaise Pascal in seinen Gedankensplittern schon vor 400 Jahren den Christen zu. Incommodez-vous!

Wer es kommod und angenehm in der Welt haben will, ist vermutlich kaum Diener Christi. Die Dienerin Christi lässt sich inkommodieren, beunruhigen, macht sich auf den Weg. Seit geraum einem Jahr werden wir durch stupides wie völlig amoralisches Virus beunruhigt. Man kann das durchaus als Zeichen sehen.

Die Griechen, von den Juden in Jerusalem möglicherweise verlacht, weil sie eben trotz allem Interesse und Engagement nicht ganz dazu gehörten, diese Griechen sind für Jesus auf dem richtigen Weg.

Sie haben nicht nur viel auf sich genommen und sich auf die Suche begeben. Sie mussten ehrlicherweise auch damit rechnen, trotz allen Strapazen nicht auf die Rechnung zu kommen und zwar zu wallfahren, aber vielleicht nicht viel zu erleben. Das Entscheidende gar zu verpassen.

Doch die Botschaft Jesu an die Jünger, so doppeldeutig sie scheinbar sein mag, ist klar: Diese Griechen haben die Wahrheit erkannt. Ihr, die ihr mir nachfolgt, seid wie die Juden, die von Gewohnheit und Geburt an zwar dazu gehören, das eigentliche aber doch verpassen. Sie sind wie die Bewohner eines Landes, die aus eigener Ignoranz die Schönheit des Landes nicht erkennen und gering achten. Oder gar alles dem kurzfristigen Profit opfern und dabei Natur wie Landschaft verschandeln.

Die weit hergereisten Griechen aber kommen mit offenen Augen und Ohren. Und gewinnen nicht nur Blick und Einsicht, sondern gewinnen auch das ewige Leben. Doch ohne Beunruhigung geht das nicht.

Incommodez-vous. Amen.



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