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  • AutorenbildMichael Baumann

Predigt an Pfingstmontag über Johannes 20,19-23

Kirche Gachnang, 1. Juni 2020

Johannes 20,19 Es war am Abend eben jenes ersten Wochentages — die Jünger hatten dort, wo sie waren, die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen —, da kam Jesus und trat in ihre Mitte, und er sagt zu ihnen: Friede sei mit euch! 20Und nachdem er dies gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und die Seite; da freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen. 21 Da sagte Jesus noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 22 Und nachdem er dies gesagt hatte, hauchte er sie an, und er sagt zu ihnen: Heiligen Geist sollt ihr empfangen! 23 Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten.


Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde


Es ist natürlich eine Wundergeschichte, was uns Johannes in seinem Evangelium mit gibt. Und es ist eine Ostergeschichte. Denn was er erzählt, spielt nach der Auferstehung Jesu von den Toten.

Nun muss man aber, um eine solche Geschichte für sich fruchtbar machen zu können, den einen oder andern inneren Warnhirnweis, die bei uns sogenannt modernen Menschen sofort leuchten und schrillen, ausschalten.

Wir müssen uns für die Wundergeschichten frei machen. Nicht indem wir sie einfach schnell für wahr und Gottes Handeln erklären – damit tun wir eigentlich gerade das Gegenteil – und auch nicht, indem wir sie zerlegen und zerpflücken, oder noch viel schlimmer sie als Pädagogik oder Psychologie abtun. Denn die meiste Psychologie und Pädagogik zerstört ja gerade den Zauber der Dinge, die sie erklären oder vermitteln wollen. Das ist ein ganz grosses Problem, das alle kennen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Die Geschichte von Johannes hat einen ganz eigenen Zauber. Und zwar zuerst der, dass den verzweifelten und ganz augenscheinlich extrem furchtsamen Jüngern und Freundinnen von Jesus dieser erscheint.

Die Jünger haben sich verschanzt. Auf Furcht vor einem Mob. Man kann jetzt in den Nachrichten – wie eigentlich immer! – sehen, wozu aufgestachelte Menschen und Massen fähig sind. Es ist ein Graus.

Die Jünger haben, nachdem Jesu hingerichtet und von den Römern beseitigt wurde, Angst, sich auf den Strassen zu zeigen. Sie gehören für die Menge zu denen, die zu einem falschen Propheten gehalten haben. Fans eines Gotteslästerers. Und weit mehr: In den Augen derer, die gesiegt haben, sind die Jünger Gefährder: Das Nachlaufen eines falschen Propheten könnte Gott provozieren. Darum wird auch den Jüngern nachgestellt, könnten sie gesteinigt und getötet werden, denn jeder Anhänger eines Gottlästeres weniger ist gut.

Wir sehen hier die reale Furcht vor sehr tiefen und unkontrollierten Trieben des Menschen. Dass Johannes das erwähnt, spricht für seine Klugheit und Menschenkenntnis.

Doch Jesus erscheint seinen furchtsamen Jüngern. Er lässt sie nicht allein. Er hält das Versprechen, seine Gläubigen im realen Leben und in der wirklichen Furcht nicht zu vergessen.

Es ist ein grossartiges Zeugnis, dass den Versammelten also Christus erscheint und sich ihnen als der zeigt, der wirklich gekreuzigt wurde: Darum zeigt er seine Wundmahle.

Wir müssen das theologisch richtig verstehen: Der Gekreuzigte und Auferstandene, der, der nicht mehr von dieser Welt ist, erscheint und grüsst die Leben.

Damit erzählt Johannes von einem extremen Übergang. Von etwas, das denkerisch eigentlich gar nicht möglich ist, Welten werden hier verschränkt.

Die Welt der Lebenden drängt mir ihrer Angst und Sorge in die Welt des Auferstandenen; und der Auferstandene kommt aus seiner Herrlichkeit in die Welt des Irdischen. Zu den Nöten und Sorgen derer, die um ihr Leben fürchten.

Denken Sie, liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, dabei an die verfolgten Christen in Syrien. An die wenigen Familien, die dort noch ausharren, verfolgt von muslimischen Schergen und einem Unrechtsstaat mit Diktator. Und dennoch halten die Christen aus.

Und denken Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, an alle anderen Christen in der Welt. Wir, ja wir im satten und gelangweilten Westen, wir mögen das nicht wahrhaben wollen. Doch die Christen gehören weltweit zu denen, die am meisten verfolgt werden. In China, in Asien, im ganzen Nahen Osten. In Afrika. Überall werden Christen und Christinnen verfolgt und das nicht erst seit gestern, sondern, so das Beispiel, seit Anbeginn der Christenheit!

Nun geht aber die Pfingstgeschichte ja weiter – darum ist den Auslegern auch die Idee gekommen, dass dieser Abschnitt zu Pfingsten gehört und nicht nur zu Ostern.

Und Christus schenkt den Jüngern seinen Geist. Das heisst: Zuerst verspricht er ihnen seinen Frieden – nicht den Frieden der Welt, sondern den Göttlichen Frieden – und dann bläst er sie an!

Das ist doch interessant – und wäre heute höchst gefährlich! – er bläst sie an! Das meint: Es kommt etwas von Christus auf die Jünger. Ja, er steckt sie an und gibt ihnen eine Fähigkeit mit auf den Weg, die wir sonst nur von Christus kennen und die heute auch wieder total unmodern erscheint: Die Fähigkeit, Sünden zu vergeben.

Gewiss, den theologisch Gebildeten schwant: Sünde ist nicht einfach falsches Tun und böse Gesinnung – Sünde ist natürlich Gottesferne und Distanz. Doch das ist spröde und graue Theorie, wiewohl auch nicht falsch.

Was Sünde hier meint ist entsprechend der Angst und Furcht der Jünger das, was Leben zerstört. Die Jünger fürchten und ängstigen sich, verschliessen sich in ihre Stube und vermutlich auch in ihr eigenes inneres Gefängnis, weil sie von der Sünder der Welt bedroht werden.

Das Böse, das Lebensfeindliche, das was alles kaputt macht, das bedroht die Jünger.

Doch Christus verspricht: Ich gebe euch meinen Geist, mit dem ihr neu beginnen könnt.

Gewiss, wir alle wissen, beginnen muss man immer zuerst bei sich selbst. Man muss den inneren Schweinehund überwinden, die Trägheit, die Bequemlichkeit, die eigenen Gefühle. Doch gleichzeitig ist ja auch das Aussen ein Problem.

Was hindert und nicht alles. Wo treffen wir nicht immer wieder auf Hindernisse, auf Menschen die wirklich quer stehen und hindern, die mühsam sind.

Gottes Geist verhilft den Jüngern zum Neuanfang: Wo ihr Sünde vergebt, wo ihr einen Neuanfang in die Wege leitet, wo ihr dem Leben nach handelt, da wird Gott mit euch sein!

Das meint interessanterweise aber auch: Gott ist auf euch angewiesen!

Er kann nicht allein. Er braucht genauso wie Jesus von Nazareth Menschen, die seine Botschaft und Gesinnung weiter tragen. Gott ist kein allmächtiger Gott, der alle als Marionetten tanzen lässt, sondern bloss dann allmächtig, wenn Menschen ihm zur Seite stehen und ihn unterstützen und helfen.

Dazu braucht er Jünger und Jüngerinnen. Dazu braucht er Menschen, wie euch, die das mittragen und weiter geben.

Und dazu dient die Pfingstgeschichte eben auch: Sie motiviert euch alle, Gottes Geist weiter zu tragen und neu zu beginnen. Im Vertrauen darauf, dass wir eben nicht alle eingeschlossen in unserer kleinen Kammer sind, sondern dass uns der Geist Gottes gegeben und verheissen ist.

Amen.



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