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AutorenbildMichael Baumann

Predigt am 23. August 2020 _ am 11. Sonntag nach Trinitatis

Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Lukas 18,9ff.


Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.


Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde


„Hochmut kommt vor dem Fall“ – so könnten wir ruckzuck das Gleichnis zusammen fassen und hätten die Predigt erledigt. Ein Sprichwort zur rechten Zeit kürzt ab, bringt’s auf den Punkt.

Wehe dir, wenn du dich zu sicher fühlst!

Als ich vor einem Jahr frohgemut verkündete, ich würde am 2h Lauf dann gewiss mindestens 20km rennen und damit immerhin Spenden für über 1‘000.—Fr. für das Steinegg zu sammeln trachtete – da dachte ich nicht im Traum daran, kurz danach peinlich mit dem Velo auf die Schnurre zu fallen – beim Aufsteigen, nicht einmal beim Fahren – und mir den untersten Wirbel vor dem Füdli zu brechen.

Hochmut kommt vor dem Fall. Zur Ehrenrettung: Ich schaffe die 20km wirklich als alter Sack noch unter 2h, wenn auch eher knapp. Aber mit dem Steinegg-Lauf war’s dann ja nichts mehr. Gespendet wurde dann aber trotzdem, das das gute Ende.

Hochmut kommt vor dem Fall. Doch geht’s im Gleichnis wirklich um Hochmut? Denn eigentlich ist das ja klar. Simpel. Banal. Zwar menschlich, aber es ist so. Nirgends ist das Gelächter grösser, als wenn sich jemand selbst zuvor auf die Schulter geklopft hat.

Interessanterweise erfahren wir über die zwei Figuren im Gleichnis nichts Näheres. Weder wissen wir, was der Pharisäer sonst für ein Typ war noch kennen wir den Zöllner. Das wäre aber interessant. Denn es bleibt anzunehmen, dass der Pharisäer zwar selbstbezogen, stolz und eben hochmütig war, dass er aber auch Vielen ein Vorbild im jüdischen Glauben gewesen ist. Pharisäer waren die Glaubenselite. Die Erfolgstypen, quasi ein Vorzeige-Bänker, ein smart-eleganter Sportstyp, einer, dem man nicht mit Kleinigkeiten kommen musste. Er ist nicht wie die Looser, nicht wie Hinz und Kunz, die es nie schaffen. Er hatte gewiss seine Bewunderer und stammte aus einer Superfamilie.

Andererseits der Zöllner. Er fährt im Gleichnis gut. Doch Zöllner waren damals selten Verkörperungen des Rechts – der Begriff ist eigentlich völlig falsch. Maffioso wäre richtig, denn mit Zoll im modernen Sinn hatte deren Tätigkeit nichts zu tun. Sie waren legalisierte Banditen wie die Kopfgeldjäger im Wilden Westen. Zöllner nahmen Geld auf, um eine Steuereintreibungslizenz zB vom römischen Statthalter zu erlangen. Und verpflichteten sich, diesem eine Mindestsumme abzuliefern – möglichst monatlich. Dazu trieben sie auf alle denkbare Weise Geld ein. Als fiktiver Zoll, als Schutzgeld, als Abgabe, wo auch immer sie auftauchten. Der Zöllner hier hat mehr Leichen im Keller, als wir uns auszudenken vermögen. Er ist ein really bad guy, kein Schmuseonkel und gewiss nicht der Vorzeigeschwiegersohn. Niemand, wirklich niemand wollte je mit solchen Menschen zu tun haben. Kein Zufall, dass er sein Gesicht nicht heben will.

Fakt ist also: Die beiden Figuren sind gerade anders geartet, als der Schluss des Gleichnisses nahelegen würde. Der Pharisäer ist gut und sauber, der Zöllner in Wirklichkeit ein Schuft.

Warum übertreibt’s Jesus also mit diesem Gleichnis?

Er spricht und redet zu solchen, die von sich überzeugt sind. Eben, Hochmütige, vor dem Velosturz. Solche, die andere verachten. Das ist politisch unkorrekt, pfui. Aber genügt das für ein Gleichnis, das mit grober Kelle anrichtet und einen liederlichen Geldeintreiber so über den Klee lobt?

Es funktioniert nur, wenn wir etwas teilen, das uns vielleicht sehr fremd geworden ist. Es steht im letzten Vers.

„Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus.“

Es geht um Rechtfertigung. Rechtfertigung ist abstrakt. Und sie meint: Du hast als Mensch ein Gegenüber. Und dieses Gegenüber ist Gott.

Gott steht in Beziehung zu dir. Und der Mensch sucht Gott und soll mit Gott leben. Darum kommen beide Figuren ja in den Tempel und beten.

Wer die Grundannahme in Frage stellt und sich über die Typen wundert, was diese in einem Tempel tun und warum sie so veraltete Riten praktizieren, für den funktioniert das Gleichnis nicht.

Wer nicht mit Gott rechnet, für den bleibt bloss das Sprichwort: Hochmut kommt vor dem Fall. Fertig.

Wer mit Gott rechnet, für den tut sich eine ganz andere Dimension auf:

Da ist Gott und er fragt dich ernsthaft nach deinem Leben. Auch nach deinem Tun. Nach Dos and Dont’s, Erfolg und Scheitern. Auch nach Gutem und Schlechtem. Und ehrlicherweise wäre dem Menschen dir Rolle zugedacht, sein Haupt zu neigen und zu gestehen: Wir haben’s nicht im Griff.

Ja, wir scheitern täglich. Das geben wir zwar nicht zu. Denn wir sind ja top, politisch korrekt, gebildet und smart und so weiter.

Aber Scheitern ist niemandem fremd. Wir scheitern in Beziehungen, in der Erziehung, immer wieder mal bei der Arbeit und es gibt immer einen oder eine, die noch etwas besserer, jüngerer, hübscher oder erfolgreicher ist.

Und Menschen scheitern auch vor Gott – denn niemand kann je einem Gott gerecht werden. Das ist eine Erkenntnis, die alle Religionen teilen. Die Konsequenzen sind dann verschieden.

Nun ist in der Moderne, heute bei uns, es aber Mode geworden, aus dem Scheitern vor Gott Gott selbst in die Ecke zu stellen. Denn: Wozu überhaupt Gott, wenn der mir Primarlehrerinnenhaft immer sagt, dass meine Os und As doch nicht genug schön sind und stets auf die Finger klopft? So einen Gott wollen wir nicht. Sicher nicht.

So haben wir Gott selbst abgekanzelt und treten schnurstracks aus der Kirche aus, weil das Glump und die alten Zöpfe brauchen wir nicht mehr.

Der Witz der Gleichnisses von Jesus aber ist: Dem Mafioso kommt Gott nahe. In dem Moment, wo ihm betend bewusst wird, was er anrichtet und wie er lebt, da tritt Gott zu ihm und macht seine Existenz durchsichtig. Das meint: Es geht ihm das Licht auf, dass ihn Gott akzeptiert. Annimmt. Ihn kennt.

Das geht nicht ohne Schmerz – darüber wird nichts berichtet. Wir müssten annehmen, dass sich der Zöllner zumindest vor sich selbst ekelt, dass er Gedanken machen müsste, wie er sich ändert, dass er seinen Job an den Nagel hängt, vielleicht sogar Schuld wieder gut machen würde, wenn das auch wenig wahrscheinlich ist.

Wen Gott rechtfertigt, der sieht sich plötzlich klar. Ohne falsches Lob, ohne wertloses Lametta. Wen Gott rechtfertigt ist zwar nackt, aber ehrlich. Und wer mit Gott rechnet, der rechnet mit einer Existenz, die über und neben dieser Welt ist. Gott begleitet dich, weil er dich kennt und nicht deine selbstgezimmerte Rolle und Kleider anschaut, sondern so, wie du bist.

Und mit dem Bogen zu den jungen Taufeltern: Gott zeigt sich dem Gläubigen, uns gegenüber wie die Eltern zu ihrem Kind. Sie lieben es, sie kennen es in und auswendig und sie lassen ihm dennoch die Luft und den Raum, um selbst zu sein.

Das Kind ist angewiesen auf die Eltern und dennoch ein Selbst, ein Eigenes. Das Kind ist von den Eltern „gerechtfertigt“, es ist und bleibt ihr Kind, was auch immer geschieht und passiert.

Und so steht dieser Gott zu dir. Keine Angst vor dem Fall, Gott trägt und hält dich.

Amen. Amen.


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