top of page
Suche
  • AutorenbildMichael Baumann

PREDIGT AM 20. SONNTAG NACH TRINITATIS

25.10.2020

23 Und es geschah, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und unterwegs begannen seine Jünger, Ähren zu raufen. 24 Und die Pharisäer sagten zu ihm: Schau her, warum tun sie, was am Sabbat nicht erlaubt ist? 25 Und er sagt zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er Mangel litt und hungrig war, er und seine Gefährten? 26 Wie er in das Haus Gottes hineinging zur Zeit des Hohen Priesters Abiatar und die Schaubrote ass, die niemand essen darf ausser den Priestern, und wie er auch seinen Gefährten davon gab? 27 Und er sagt zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen, nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 Also: Der Menschensohn ist Herr auch über den Sabbat.

Markus 2,23-28

Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.


Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde


Es ist eine betont doppeldeutige und in vieler Hinsicht knackige Episode, das Streitgespräch zwischen Jesus und den Pharisäern. Es gleicht in vielem einem heutigen Rededuell – ganz gleich, ob wir hier an Politiker in der Arena denken, oder an eine Wahlkampfveranstaltung. Ganz offensichtlich – und das ist eine der ersten Erkenntnisse – pflegten schon Jesus und seine religionspolitischen Gegner, die Pharisäer, eine Gesprächskultur, die der unsrigen nicht unähnlich war. In vielem sogar uns überlegen – denn das Gespräch erfolgte face to face – von Angesicht zu Angesicht und nicht über Twitter oder mittels Propaganda-Filmlis und -Messages auf Instagram.


Und: Jesus wie die Pharisäer scheuen sich nicht, sich gegenseitig anzugreifen und argumentativ in die Enge zu drängen. Aber sie tun das öffentlich. Man konnte zuhören – nicht unähnlich den Disputen in Rom oder Athen. Es hatte Publikum – verschiedenartiges. Nicht wie die Verschwörungstheoretiker heute, die sich in ihren eigenen Grüppli treffen.


Es geht in diesem Disput um die Stellung des Sabbat. Des Sonntags. Um die Relevanz einer religiösen Vorschrift. Und man sieht hier eine deutliche weitere Differenz der christlich-jüdischen Tradition im Unterschied zur Machtideologie des Islam: Es soll gestritten werden über religiöse Vorschriften!


Das ist nicht die christliche Erfindung des Menschensohnes, sondern es ist die jüdische Tradition. Weit gefehlt also der, der meint mit Mose sei ein Verbots-Gebots-Katalog auf die Welt gekommen, zuerst die Zehn Gebote, dann die weiteren 613 Mizwot – Gebote. Nein, mit den Geboten kommt die Frage in die Welt, wann und wo, wie und wenn ja in welcher Form man das einhalten, aushalten, befolgen oder missachten kann, könnte, müsste und darf.


Der Rabbiner Jesus, Wanderprediger und Gottesgelehrter führt also eine Tradition weiter, die ganz typisch jüdisch und dadurch typisch menschlich und modern ist: Man muss Vorschriften aushalten, bedenken, hinterfragen aber auch den grossen Bogen dahinter sehen.


Das ist jetzt wiederum ganz praktisch und bedeutungsvoll jetzt. Jesus führt die Tradition weiter, hinter allem und jedem den grossen Bogen zu sehen. Es ist also z.B. nicht die Frage, ob du eine zertifizierte Maske trägst, die ein völlig unwichtiges Kürzel hat, sondern ob du eine Maske trägst. Der Mensch, so die Episode im grossen Bogen, muss den gesunden Menschenverstand behalten. Bi Trost sein.


Nun ist das aber en Détail nicht immer einfach. Es beginnt schon bei den Jüngern. Die rupfen Ähren ab – wohl weil sie Hunger haben. Sie nehmen sich einen Znüni. Da wenden die Pharisäer mit Recht ein: Das ist ungehörig. Es gehört sich nicht. Aus ganz verschiedenen Gründen. Denn erstens sind die Ähren nicht ihrer, zweitens war die damalige Landwirtschaft derart knapp, dass aus einem Saatkorn kaum das Doppelte, oder Dreifache im Schnitt spross.


Und drittens ist jetzt Sabbat, also hätten sich die Purschten doch vorher um ihre Verpflegung kümmern können.


Nun ist natürlich strittig, jenseits des Anstandes, dass es sich nicht gehört einfach so Ähren zu rupfen, Kirschen zu stehlen oder was weiss ich auf einem Feld zu stibietzen, ob Ähren-Rupfen überhaupt eine Arbeit ist. Oder inwieweit unterscheidet sie sich vom Suppe-Schöpfen, wenn diese bereits am Tag zuvor für den Sabbat bereitet wurde? Oder vom Verschneiden des Sabbat-Bratens, Zopfs oder Fisches?


Jesus antwortet aber witzigerweise gerade mit einer alttestamentlichen Notverordnung. Er erzählt von David, dem grossen König, der kurz vor seiner Salbung in Jerusalem in einer äussersten Notsituation die den Priestern vorbehaltenen Brote im Tempel verschlang. Dabei greift Jesus kräftig in die rhetorische Trickkiste – er bedient sich einfach gesagt Fake News. Denn weder stehen seine Jünger im Tempel – sondern auf einem Feld in Galiläa – noch verhungern sie oder werden von Meuchelmördern verfolgt wie David. Und den Priester Abiatar hat es zur Zeit Davids und seiner Geschichte nicht gegeben. Er hiess Ahimelech.


Er übertreibt also massloss. Und das tollste daran: Die Pharisäer protestieren nicht. Niemand ruft „Fake News!“, sondern das Argument ist Teil des Spiels, des Duells. Nur fällt ihnen offenbar nichts mehr ein.

Vielleicht war es nur ein Test. Vielleicht war es ihnen nicht so wichtig. Vielleicht sind sie grösstenteils – das ist vermutlich die wahrscheinlichste Lösung – ganz einfach mit Jesus eben einverstanden. Denn: Die Differenzen zwischen den Pharisäern und Jesus mögen im Rückblick gigantisch aufgeblasen worden sein – sie waren vermutlich in fast allen Ansichten sehr ähnlich und nah. Nur als Seitenblick und Argument mag gelten:


Der Apostel Paulus war nicht nur der wichtigste und grösste der Apostel, sondern mit Recht vor seiner Hinwendung zum Christentum Pharisäer und jüdischer Missionar. Ohne dessen Background als Pharisäer wäre er vermutlich kaum in der Lage gewesen, dem Christentum das Entscheidende mitzugeben, dass es sich in der antiken Welt hat ausbreiten können. Und er könnte kaum als erster Theologe gelten.


Wie auch immer. Die Schlusssequenz lautet: Der Sabbat ist um des Menschen willen geschaffen worden und nicht umgekehrt. Und der Menschensohn ist auch Herr über den Sabbat.

Nun wurde diese Stelle dann in Bezug auf den Sonntag hin und her erklärt, ausexegesiert wie der Nudelteig unter dem Nudelholz, bis sie derart platt und ausgewallt war, dass man alles mit dieser Stelle erklären kann: Für und Gegen den Sonntagsverkauf, für und gegen alle Arten von Veranstaltungen, für und gegen diese und jene religiösen Veranstaltungen und Pflichten.


Dabei geht es Jesus eigentlich um ein Prinzip. Es geht ihm überhaupt nicht um Verbote oder Gebote. Das Prinzip ist unerhört schwierig aber auch ganz einfach und bezieht sich auf das Gesamte einer Religion.


Es geht darum, das Herz auf dem rechten Fleck zu haben, bei Trost zu sein. Weder zu übertreiben noch alles schlittern zu lassen. Das tönt einfach, ist aber schwierig.


In der griechischen Philosophie sprach man vom Prinzip des Masses. To métron áriston – das Mass ist entscheidend. Nicht zuviel und nicht zuwenig. Aber was heisst das? Gerade im Bezug auf Religion?

Und erst recht im Bezug auf die Politik? Corona-Regeln, Konzernverantwortungsinitiative, Black-Live-Matters, Genderfragen, Waffenausfuhr, Grundwasser-Pestizide…


Es hilft auch nicht viel weiter, wenn wir dem Menschensohn unterstellen, er wolle eigentlich dem Leben dienen, darum müsse der Sabbat dem Menschen zudienlich sein. Denn dem Leben der einen oder andern wolle alle dienen. Jedenfalls gibt es kaum eine Position – ausser vielleicht den radikalen Impfgegnern, Corona-Spinnern oder anderen Hirni-Piraten – denen das Leben im Prinzip egal ist.

Was ist das Lebensprinzip von Jesus anhand des Sabbats?


Wenn wir auf den Anfang zurück blicken und uns fragen: Was ist das grosse Ganze?, dann kommen wir der Sache näher.


Das Grosse nicht aus den Augen verlieren.


Jesus sagt den Pharisäern nicht, das Sabbatgebot ist nicht mehr gültig, man kann es abschaffen. Er sagt nicht, es gilt nie mehr, gehört auf den Müll der Geschichte. Er sagt bloss: Im Moment, gerade jetzt gilt es nicht. Heute ist eine Ausnahme.


Aber nicht jeden Tag ist eine Ausnahme. Nur heute. Morgen und am nächsten Sabbat nicht. Eine Ausnahme ist nicht die Regel. Und keine Ausnahme oder die grundlegende Regel – die Regel gilt.

Das ist wichtig: Die Regel gilt. Wir brauchen Regeln. Wenn es Regeln gibt, dann gibt es auch Ausnahmen. Es gibt beides. Es muss beides geben.


Doch wenn es Ausnahmen von Regeln gibt, dann muss ausgehandelt werden. Religiöse Gebote, aber auch Religion selbst hat in Jesu Sichtweise ein demokratisches Element.


Das ist jetzt vielleicht abstrakt und ungewohnt. Sind denn Religionen nicht das, was immer und überall gilt? Alt und beständig? Ewig und vielleicht darum überholt?


Jesus widerspricht dem total: Nein, Religionen sind im steten Wandel begriffen, Überzeugungen müssen diskutiert, Werte und Gebote ausgehandelt werden. Religionen sind nie statisch und nie einfach.


Wehe darum denen, die meinen, mit Religion und Werten Politik machen zu können. Man zielt mit tödlicher Sicherheit daneben – um das geht es Religion nicht. Das Absolute lässt sich nicht instrumentalisieren.


Wir sehen es ja jetzt: Da werben die Konzerninitiativeler mit tränenden Kinderaugen – und die Kirchenoberen sehen für sich die Chance, endlich wieder einmal Pharisäer spielen zu können und die Kirchtürme mit orangen Fahnen zu tapezieren. Nein, sie sind nicht Fans der holländischen Fussballelf, sondern meinen zu wissen, was man tun und nicht lassen dürfe. Es ist doch so klar.


Aber nein, es ist nicht so klar und einfach schon gar nicht. Und gut gemeint ist halt immer schon das Gegenteil von gut gewesen.


Ehrlich wäre im Sinne einer demokratischen Religion: Was handeln wir aus? Was hätten wir immer schon tun müssen?


Da sei allen Mitbürgern ins Stammbuch geschrieben: Alle die Firmen, die jetzt als böse dargestellt werden und die wie Glencore, Nestlé und andere angeprangert werden – alle diese Firmen sind zB schon längstens an der Börse. Viele von ihnen gehören auch unseren Pensionskassen. Und wir alle hätten über die Pensionskassen schon längst genauer hinschauen können, wenn wir hätten wollen. Haben wir aber nicht.


Da ist es so einfach, wenn man moralisch korrekt zu sagen meint: Nein, so geht es nicht. Jetzt machen wir wie die Pharisäer ein weiteres Gesetz. Dann kommen Anwälte. Und dann wird die Welt besser. Wer das glaubt, der müsste schon vielleicht die Worte von Jesus nochmals lesen. Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht der Mensch für das Gesetz.


Und der Menschensohn steht über dem Gesetz. Religion ist nicht einfach fett geschrieben und klar – sondern bedarf der Diskussion und des Aushandelns. Denn es geht Jesus um das Leben – und das ist leider kompliziert und verschachtelt.


Amen.


12 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page