Predigt über Apostelgeschichte 2 anlässlich des Gottesdienstes vom 31. Mai 2020
Apostelgeschichte 2:1 Als nun die Zeit erfüllt und der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren sie alle beisammen an einem Ort. 2 Da entstand auf einmal vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sassen; 3 und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten, und auf jeden von ihnen liess eine sich nieder. 4 Und sie wurden alle erfüllt von heiligem Geist und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie der Geist es ihnen eingab. 5 In Jerusalem aber wohnten Juden, fromme Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun jenes Tosen entstand, strömte die Menge zusammen, und sie waren verstört, denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden. 7 Sie waren fassungslos und sagten völlig verwundert: Sind das nicht alles Galiläer, die da reden? 8 Wie kommt es, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache hört? 9 Parther und Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, von Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asia, 10 von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem kyrenischen Libyen, und in der Stadt weilende Römer, 11Juden und Proselyten, Kreter und Araber — wir alle hören sie in unseren Sprachen von den grossen Taten Gottes reden. 12 Sie waren fassungslos, und ratlos fragte einer den andern: Was soll das bedeuten? 13 Andere aber spotteten und sagten: Die sind voll süssen Weins. 14 Petrus aber trat vor, zusammen mit den elfen, erhob seine Stimme und sprach: Ihr Juden und all ihr Bewohner Jerusalems, dies sei euch kundgetan, vernehmt meine Worte! 15 Diese Männer sind nicht betrunken, wie ihr meint; es ist doch erst die dritte Stunde des Tages. 16 Nein, hier geschieht, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: 17 Und es wird geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da werde ich von meinem Geist ausgiessen über alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen Männer werden Gesichte sehen, und eure Alten werden Träume träumen. 18Und auch über meine Knechte und über meine Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgiessen, und sie werden weissagen.
Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Gottesdienstgemeinde, liebe Freunde
Zumindest über den einstmaligen Stellenwert eines kirchlichen Festes geben uns Wörterbücher und Lexika Auskunft. Nicht alles weiss der Onkel Google und selbst meinen Kindern muss man beibringen, dass man zwischen Buchdeckeln auch Informationen finden kann.
So erzählt uns das grosse Grimm’sche Wörterbuch der deutschen Sprache über Pfingsten in über 70 einzelnen Worteinträgen, wie bedeutsam einst bis Mitte des letzten Jahrhunderts das christliche Fest anfangs Sommer war.
Man findet im Grimm so schöne Dinge wie den Pfinstlümmel – ein Tunichtgut angesichts langer Abende mit Wein – viele Pfingstblumen- und -tierarten (zB das Pfingsthuhn als Zinsgabe) – der Pfingstquak (ein junger geschmückter Mann auf Brautschau) sowie – mein Liebling – der Pfingstwurm – eine Raupe in Österreich. Wer an Pfingsten nicht aus dem Bett kam, war der Pfingstschläfer – etwas wie der Silvesterjoggi.
Item: Fast alle dieser alten Worte sind verschwunden, teils weil es das bäuerliche und vorindustrielle Umfeld nicht mehr gibt, teils weil das errodierende Christentum selbst Mühe bekundet, mit Pfingsten in der Moderne etwas anzufangen.
Zeichen dafür ist zum einen, dass selbst Kirchenleiter nur noch von der Geistkraft sprechen – gendertechnisch geglättet und in einem Akt dümmlicher Vereinfachung den Geist an Pfingsten mit dem Geist der Urflut im ersten Buch Mose kurzschliessen. Denn wo Geist, immer Geist. Geist ist Geist. Und vielleicht ist das ja so etwas wie in den Sternenkrieg-Filmen: The Force may be with you…
Es lohnt sich vielleicht, sich den Bericht in der Apostelgeschichte einmal unter dem Aspekt des Unerwarteten anzuschauen.
Gewöhnlich betrachtet man das Pfingstwunder als glorioses Sprachenwunder, als Zeichen der grossen Verständigung zwischen den Völkern, der Ausweitung des christlichen Glaubens in die Welt und als Geburtsstunde der Kirche als menschlicher Gemeinschaft unter dem Geist Gottes.
Das ist alles nicht falsch. Vor allem die Idee, Pfingsten als Geburtstag der Kirche zu verstehen. Es ist mit Nichten so, wie unlängst ein kirchlicher Kollege ziemlich dünkelhaft in einer Zeitschrift meinte, Pfingsten als Geburtstag der Kirche zu verstehen sei Schwachsinn, denn Pfingsten wolle etwas wie die göttliche Leitung symbolisieren und damit ein bischöfliches Instrument etablieren. Wohin solch bischöfliche Ambitionen führen, haben wir eben in Bern beim ehemaligen Kirchenbund gesehen.
Nein, Pfingsten ist tatsächlich eine Art Geburtsstunde der Kirche, weil den Menschen, den Aposteln, gewiss darunter auch den Frauen in der Urkirche, die gab es nämlich auch, die Leitung der Glaubensgemeinschaft und die Pflege wie Ausweitung des Glaubens in der Welt übertragen wurde.
Mit Pfingsten und ab Pfingsten soll der Mensch die Sorge übernehmen, soll für Kirche wie Glaubensgeschwister sorgen. Denn augenfällig ist seit Auffahrt Christus nicht mehr hier – eigentlich seit seinem Tod am Kreuz, denn der Auferstandene war nicht derselbe, der in den Tod gegangen.
Er verspricht als Stütze und Tröster den Geist zu senden und Pfingsten gilt darum als Manifestation der Stütze, der Unterstützung durch Gott. Es ist eigentlich das Supporter-Fest: Gott lässt die Seinen nicht allein.
Darum aber ist der eigentliche Punkt nicht das Sprachenwunder und nicht die wunderbaren Feuerzungen über den Häuptern, obwohl es sich dabei ja tatsächlich eine heisse Erscheinung handelt. Auf die symbolische Idee muss man erst einmal kommen: Sprachenwunder und Verständigung ist das eine, aber Zungen, die über den Versammelten erscheinen und sich Zerteilen und dann auf jeden der Anwesenden setzen – das ist ein höchst wirkmächtiges Mirakel.
Das entscheidende Moment ist aber die Offenbarung selbst. Darum ist der Pfingstgeist so ganz anders als der Geist Gottes, der einst über den Wassern schwebte und hat nichts, aber auch gar nichts mit der hebräischen Ruach zu tun.
Der Geist, pneuma, welcher hier ausgesandt wird, ist eine Offenbarung. Ist Gott, der sich zeigt. Darum geht die Offenbarung der Feuerzungen, also das Sehen, mit einer Audition, dem Sturmwind daher.
Das Brausen ist die Ebene des Hörens, das Rauschen. Vielleicht auch ein tiefes, dumpfes Grummeln, das Erdbeben, grosse Lawinen, Wassergetöse ankündigen. Jedenfalls durchaus beunruhigend.
Gleich ob die Versammelten das sich nur einzeln einbildeten oder wirklich hörten: Gottes Zeichen kündigt sich wie ein Tinitus an – ein Pfeiffen, Dröhnen, aus der Fassung bringen.
Und dem entspricht gleich anschliessend das Sehen von Blitzen, Feuerzungen, Lichterscheinungen.
Gott zeigt sich den Anwesenden. Die Versammelten werden erfüllt, das meint: Sie sind mehr, als die Summe, die Zahl der Zusammengekommenen. Wer sich versammelt ist eine Menge. Stellt etwas dar. Es sind nicht nur zwei, drei, die versammelt sind, sondern eben eine Menge. Eine Menge bewirkt etwas, eine Menge stellt etwas dar. Eine Menge ist Macht, Zeichen, Botschaft.
Gottes Offenbarung bewegt Menschen, macht aus einzelnen Gläubigen, Jüngern, Nachfolgerinnen Jesu oder auch Ängstlichen und Hoffnungslosen eine Menge, die zusammen gehört.
Und nun kommt in der Pfingsterzählung die Deutung und das Wort zum Zug.
Der Offenbarung folgt eine Wirkung nach. Die Wirkung ist die Verständigung der Versammelten über die Worte Christi und die Schrift.
Der Geist, der an Pfingsten ausgesandt wird, hat also neben der zuerst erfolgten Überraschung einen zweiten, entscheidenden Zweck: Er ist ein Geist der Verständigung über die Schrift und die Botschaft Christi. Es ist nicht Verständigung der Versammelten, die vielleicht uneins, unterschiedlicher Meinung oder ganz augenfällig unterschiedlicher Herkunft waren. Der Pfingstgeist ist gerade kein Geist der rosawarmen Diversity, die alle über den gleichen Kamm schert und allgemeine Nettigkeit verspricht. Sondern es ist ein Geist der gleichen Tradition: Er öffnet den unterschiedlichsten Menschen die Botschaft der jüdischen Bibel und der Tradition Christi.
Das zeigt sich auch an der Motivation der Anwesenden: Sie mussten zuerst in Jerusalem sein. Sie mussten herkommen. Sie mussten sich versammeln.
Die Pfingstler in der Apostelgeschichte haben sich versammelt und auf den Weg gemacht. Sie hocken nicht online vor einem Monitor und bequem auf dem Sofa. Sondern sie machten sich auf und gingen den beschwerlichen Weg hinauf in die Gottesstadt.
Doch wehe, ihnen schwante, dass vermutlich keiner der Fremdlinge etwas verstehen würde – sie fürchteten, dass sie nicht nur fremd, sondern auch der Dinge völlig unverständlich gegenüber stünden. Gleich wie der äthiopische Kämmerer, der in Jersualem zwar sich mit Andachtsgegenständen, Reliquien und Schriften eindeckte, aber zuerst über den Hintergrund rein gar nichts verstand.
Doch die Mühsal der Pilger wird belohnt. Den Versammelten zeigt sich Gott, er offenbart sich der Menge und beginnt zu deuten und Verstehen zu wecken.
Menschen brauchen also Deutung. Erklärung und Weisung. Es gehört zum Mensch-Sein, die Welt zu deuten.
Gewiss: Einigen ist das zu mühsam, sie hätten es gerne einfacher. Konsumierbarer. Andere wollen auf Deutungen verzichten, weil die Welt deuten ist ja schwierig. Manchmal unmöglich und wer deutet, macht sich auch angreifbar: Nein, so wollen wir das nicht verstehen!
Aber nicht deuten ist auch keine Alternative, man wird stumpf und blöd dabei. Jedermann kann das sehen: Die Corona-Krise wird bislang fast nirgends gedeutet. Nur wenige wagen es, stossen das eine oder andere an, stellen Fragen. Aber oho, gleich sind die Deutungshemmer zur Stelle: Wehe man stellt Fragen zu unserer Freiheit; ganz ungeschickt. Wehe, man äussert Bedenken, ob das eine oder andere zu hinterfragen wäre, unbequem.
Ganz schlimm: Es kommt einen in den Sinn, gar Gott ins Spiel zu bringen. Warum lässt der das zu? Warum gibt es das? Ganz gefährlich, lieber lassen wir diese Fragen gleich weg. Also ist von Kirchen gar nichts zu hören, ausser, dass sich ja alle ganz doll lieb haben und gemeinsam beten.
Das ist aber, mit Verlaub, einfach naiv. Gerade die Pfingstgeschichte meint doch: Gott zögert und zaudert nicht. Ihm ist auch ein veritables Wunder recht, seine Offenbarung schüttelt und rüttelt an den Versammelten und die eine oder andere Feuerzunge hat wohl auch ein Brandmahl verursacht. Ja, man verbrennt sich am Wort Gottes leicht die Finger. Kein Grund, die Hände weg zu lassen.
Denn Gottes Geist selbst zeigt die Richtung: Wir müssen deuten, müssen verstehen lernen, müssen lesen und nachdenken.
Nichts anderes will die Pfingstgeschichte zeigen. Es ist der grosse Apell, sich Gedanken zu machen. Gott ins Spiel zu bringen und Christus, der sich um unseretwegen der Welt gegenüber gezeigt und ausgeliefert hat.
Im Horizont unserer eigenen Endlichkeit und unserer eigenen Ängste will Pfingsten und nicht eine feucht-fröhliche Apéro-Stimmung nahe bringen, sondern Nachdenklichkeit angesichts von Dingen und Geschehnissen, die rütteln und schütteln.
Keiner der Anwesenden war am Abend des Pfingstwunders derselbe, wie am Abend zuvor. Aber keiner der Pfingstler war bereits am Ziel angekommen. Die Geschichte war offen und frei. Und die Menschen sind ihrer Wege im Vertrauen auf diesen Gott gegangen.
Amen.
St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 338 - Pergament, 24,2 x 16cm, um 1050-1060: Breviarium Missae, Graduale, Sakramentar et Computus. Miniaturen etwa um 850 (!) geschaffen. Hier die Darstellung des Pfingstwunders. e-codices.unifr.ch
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