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AutorenbildMichael Baumann

Meditation zum Sonntag Rogate am 17. Mai 2020

Wochenspruch:

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.

åPsalm 66,20

5 Und wenn ihr betet, sollt ihr es nicht machen wie die Heuchler: Die stehen gern in den Synagogen und an den Strassenecken und beten, um sich den Leuten zu zeigen. Amen, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon bezogen. 6 Wenn du aber betest, geh in deine Kammer, schliess die Tür und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist. Und dein Vater, der ins Verbo

rgene sieht, wird es dir vergelten. 7 Wenn ihr aber betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden; sie meinen nämlich, sie werden ihrer vielen Worte wegen erhört. 8Tut es ihnen nicht gleich! Euer Vater weiss, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet. 9 So sollt ihr beten: Unser Vater im Himmel. Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. 11 Das Brot, das wir nötig haben, gib uns heute! 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben haben jenen, die an uns schuldig geworden sind. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. 14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. 15 Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird auch euer Vater eure Verfehlungen nicht vergeben.

Matthäus 6,5-15

Liebe Freunde, Brüder und Schwestern im Glauben!

Der Abschnitt für die Predigt am heutigen Sonntag Mitte Mai findet sich im Matthäusevangelium. Es ist Jesu bekannter Ratschlag über das Beten. Eigentlich sind es zwei verschiedene Ratschläge. Der erste handelt über das Beten insgesamt. Augenscheinlich spricht Jesus gegen die Heuchler. An und für sich ist ein Heuchler, wer andern etwas Unwahres vorspielt und sich als besser ausgibt, als er oder sie in Wirklichkeit ist. Nur ist das heute nicht ohne weiteres verständlich. Denn wo finden sich heute noch Heuchler? Gewiss, in den Bereichen der Politischer oder bei der Prominenz. Da sind wir ganz schnell mit dem Hinweis, dass Wasser gepredigt oder Wein getrunken wird. Doch im Privaten? Begegnen wir Heuchler?

Ganz so absurd ist die Frage nicht. Denn in allen zwischenmenschlichen Beziehungen wird irgendwann die Frage offenbar, ob das, was wir glauben sollen, auch wirklich so ist. Ist der Nachbar, mein Sohn oder meine Schwiegertocher so erfolgreich, wie ihr Auto, ihr Haus oder einfach deren Gehabe glauben lassen?

Sind deren Kinder wirklich derart wohlgeraten, oder tönt es da nicht doch manchmal anders?

Heuchelei beginnt im Kleinen. Wir haben das Gefühl, Jesus benutzt hier einen religiösen Sonderfall. Damals, ja vor zweitausend Jahren, da waren Beten und religiöse Überzeugung noch gesellschaftliche Themen. Heute sind sie doch privat und letztlich völlig unwichtig. Oder haben Sie sich je schon über den Gartenzaun über das Beten unterhalten?

Doch wir unterschätzen Jesus. Er wält das Thema Beten nicht aus, weil es so wichtig ist. Sondern weil die Heuchelei derart weit verbreitet ist unter Menschen. Er bewegt sich schlichtweg im Umkreis frommer Juden. Darum wählt er das allgemeinste Beispiel. Wäre er Hobbysportler gewesen, würde sein Beispiel um die letzten Trainings gehen. Hätte Jesus Hunde dressiert, so würde er über die Leistungen seines Border Collies sprechen. Aber hier geht es um das Beten. Um eine persönliche Haltung gegenüber Gott. Und was tut der beschriebene Mensch im Beispiel? Er missbraucht die persönlichste aller Gebetshaltungen gegenüber Gott zur Heuchelei. Er wendet den Blick von Gott ab und macht aus dem Gebet eine Show. Sieht her, ich bete! Sieht her, ich bin fromm!

Menschen – so Jesu zentrale Einsicht – blenden andere Menschen. Sie führen sich als solche auf, die besser scheinen wollen, als sie sind.

Als Primärschüler sagten wir jeweils: Er oder sie ist ein „Shower“ – sie tut so, als ob. Und Jesus rät uns: Wenn du betest, tu nicht als ob!

Wenn wir beten, so sollen wir das Gespräch mit Gott suchen, zu ihm flehen, klagen, möglicherweise auch zu Gott schreien. Doch das tun wir nur für uns selbst.

Das Gebet – hier wäre es ganz modern – ist total auf uns selbst bezogen. Es ist nur für uns! Es hat keinen anderen Zweck, als den Menschen mit Gott ins Gespräch zu bringen. Und es geht vor allem um das Hören auf Gott. Darum Jesu Wort gegen die plappernden Heiden, die versuchen, mit irgendwelchen Ritualen, Floskeln oder Worten Gott und die Götter zu bewegen. Nein! Gott weiss bereits um das, was für dich nötig und heilsam ist. Der Mensch soll hören – im Gebet Ruhe finden und mit Gottes Hilfe die nötigen Schritte erkennen und erfahren.

Diesem ersten Teil auf den ersten Blick relativ entgegen gesetzt erscheint der zweite, wo Jesus das Unser Vater als universales Gebet einführt. Es spricht für das didaktische Talent von Jesus als Rabbi und Lehrer, dass er seinen Zuhörern nicht einfach eine theoretische, wenngleich mit Bildern und Beispielen konkretisierte Lehre über das Beten erklärt, sondern ihnen gleichsam vorbetet. Es ist der didaktische Dreischritt vom Vormachen – Mitmachen – Selber Machen. Wir werden durch Jesus angeleitet – wer will, fast wie mit einem klugen Kochbuch: Schritt für Schritt führt uns Jesus durch das Unser Vater-Gebet.

Nun könnte man gewiss über dieses stundenlang meditieren. Auch ist es höchst interessant, dass dieses bei Matthäus und Lukas sehr ähnlich, aber nicht vollkommen gleich überliefert wird. Und es ist spannend, dass unsere heutige Form vor allem am Schluss vom Beispiel von Jesus abweicht. Wie auch immer. Wir kümmern uns um zwei Punkte, die vielleicht in der gegenwärtigen Situation bedeutsam sein können.

Der erste ist die Bitte, nicht in Versuchung geführt zu werden. Diese Bitte hat zu unzähligen Deutungen, Kommentaren und Hinweisen geführt. Allesamt nehmen sie wichtige Dinge auf. Entscheidend scheint mir zu sein, dass Jesus in dieser Bitte vorschlägt, Gott zu bitten, uns nicht in Situationen zu führen, die uns prüfen. Unter dem Wort „Versuchung“ hören wir oft etwas Moralisches, gar etwas Unanständiges heraus. Das ist aber überzogen. Das Wort meint schlicht und ergreifend Prüfung, Test, Bewährung. Niemand gerät unvorbereitet und unverhofft gerne in eine Situation der Prüfung. Wer schon bei der einfachen Verkehrskontrolle oder dem prüfenden Blick des Zöllners zu schwitzen beginnt, wie sollte man dann einer Prüfung Gottes widerstehen? Es ist völlig normal, dass gegenüber Gott Jesus bittet, einen nicht zu prüfen. Denn wer könnte schon wirklich bestehen?

Ist nicht das ganze Wirken des Apostels Paulus darauf aufgebaut zu zeigen, dass ohne die Gnade Gottes wir eigentlich nicht bestehen könnten und demzufolge nicht bestehen würden?

Die Bitte, uns nicht in Versuchung zu führen ist darum eigentlich die menschlichste aller Bitten: Wir sind anfällig, schwach, wankelmütig und beeinflussbar. Darum, bitte Gott, prüfe uns nicht, wenn nicht unbedingt notwendig!

Der zweite Punkt ist der Schluss von Jesus: Wer um Vergebung bitte, selbst aber nicht vergibt, dem wird auch Gott nicht vergeben. Das mag uns heute hart erscheinen. Ist Gott wirklich so berechnend? Warum werden meine irdischen Taten Gott gegenüber so gewichtet?

Auch hier mag man einwenden, dass für Jesus und seine Gläubigen dieser Zusammenhang viel weniger krass und hart erschienen mag, als uns heute. Wir setzten uns absolut, wir sehen uns als wichtig an. Jeder und jede von uns ist wer. Hat einen Wert, will wahrgenommen werden. Doch zu Jesu Zeiten war das Gegenteil der Fall: Grundsätzlich hatte der einfache Mensch weder das Recht noch den Anspruch von Königen, Kaisern, Machthabern oder Gott überhaupt wahrgenommen zu werden. Was kümmern die Mächtigen die Kleinen? Was haben wir mit Gott, dem Herrn und Herrscher über alle Welten zu tun? Das war das antike Bild. Die Götter sind in ihrer eigenen Welt. Sie haben ihr eigenes Schicksal, das sich höchst selten um das der Sterblichen kümmert.

Doch hier, an dieser Stelle verbindet Jesus im Gebet an Gott dein und unser Tun mit dem Gottes. Wenn wir vergeben, dann wird Gott uns auch vergeben! Das ist nach damaligem Verständnis etwas total Neues.

Gott kümmert sich um dich! Er nimmt sogar wahr, wie du dich in deinem Alltag um deine Nachbarn, Kinder, deine Familie und deinen Ehemann oder deine Ehefrau kümmerst!

Das meint: Wir sprechen von einem Gott, dem das Schicksal der einzelnen Menschen nicht gleich oder egal ist. Wir sprechen in der Tradition des jüdischen Predigers Jesus von einem Gott, der dich und mich und uns kennt. Und der dich nicht nur kennt, sondern der dich tatsächlich auch im Leben und Alltag begleitet.

Nach zweitausend Jahren mag uns das altmodisch und völlig klar erscheinen. Wir sehnen uns heute nicht selten nach totaler Autonomie und Selbständigkeit, nach Unabhängigkeit. Und wir sehnen uns danach, das wir alle so wahrgenommen werden, wie wir sein wollen.

Doch in den Predigten von Jesus und seinem Gebetsbeispiel erscheinen wir als die, die sich gerade nicht stets unter Druck setzen müssen, sich selbst zu entwerfen, zu emanzipieren und einem Ideal hinterher zu eilen. Denn Gott – so Jesus – kennt uns und nimmt uns ernst. Handle so, wie du von Gott auch behandelt werden möchtest!

Handle wirklich emanzipiert und akzeptiere, Mensch, dass Gott dir deine Freiheit zuspricht – dich aber auch auf dein Handeln behaftet.

Sei erwachsen, Mensch, und bitte Gott darum, dich weder in Prüfungen zu senden, die wir kaum bestehen können, noch in Situationen, in denen wir unseren eigenen Idealen, Wünschen und Hoffnungen nicht entsprechen können.

Sei uns gnädig, Gott!

Mit lieben Wünschen,

Michael Baumann

16.5. 2020

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