Wochenspruch:
Die Erde ist voll der Güte und Barmherzigkeit des Herrn. Psalm 33,5
Denn dazu seid ihr berufen worden, weil auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vermächtnis hinterlassen hat, damit ihr seinen Spuren folgt. 22 Er tat nichts, was Sünde wäre, und in seinem Munde fand sich kein Falsch. 23 Er schmähte nicht, wenn er geschmäht wurde, er drohte nicht, wenn er leiden musste, sondern stellte es dem anheim, der gerecht richtet. 24 Er selbst hat unsere Sünden getragen am eigenen Leib ans Holz hinauf, damit wir den Sünden absterben und der Gerechtigkeit leben; durch seine Striemen wurdet ihr geheilt. 25 Denn ihr irrtet umher wie Schafe, doch jetzt seid ihr zurückgekehrt zum Hirten, zum Beschützer eurer Seelen.
1. Petrus 2,21-25
Liebe Freunde, Brüder und Schwestern im Glauben
„Die Erde ist voll der Güte und Barmherzigkeit des Herrn.“ So heisst es im Psalm 33,5 und dieser Psalm hat dem zweiten Sonntag nach Ostern seinen Namen gegeben. Es ist das Osterlicht, das immer noch das bestimmende Thema dieses Sonntags ist. Es wird klar, dass das Kirchenjahr die einzelnen Feste nicht nur auf einen einzelnen Sonntag oder Festtag verteilt, sondern dass die grossen Themen ihre Vorbereitungszeit sowie ihre Zeit der Nachwirkung haben. So wirkt natürlicherweise das Ostergeschehen bis zu Auffahrt weiter.
So ist auch der Abschnitt aus dem ersten Petrusbrief auf Ostern bezogen. Nun sind aber die urchristlichen Briefe weitaus weniger eingängig zu verstehen und zu lesen, als zum Beispiel die meist etwas später entstandenen Evangelien, die recht eigentliche Erzählsammlungen sind. Die Briefe hingegen unterrichten, informieren oder erteilen Ratschläge. Und ähnlich wie heute sind Brief höchst spannend zu lesen, weil sie direkt aus dem Leben stammen – und äusserst verwirrend wie unverständlich, wenn wir die Situation von Verfasser und Empfänger nicht kennen.
Der erste Petrusbrief ist sehr dicht geschrieben. Und gewisse Abschnitte der Bibel werden leichter verständlich, wenn man sie sich als Bild vorstellt. Diesen Versuch will ich hier für Sie und euch unternehmen.
In einem Stundenbuch, das den Damen von Oudenaarde, einer Stadt südlich von Gent gelegen, zugesprochen wird, wird das besonders klar. Die burgundische Buchmalerei illustriert unter anderem genau die Stelle, die für den heutigen Sonntag der Predigt zugrunde gelegt wird.
Die Damen von Oudenaarde waren zwischen 1440 und 1450 gewiss vermögendf, ansonsten hätten sie sich nicht ein so kostbares Gebetsbuch aus Pergament mit eingeschobenen Malereien leisten können. Das Buch befindet sich übrigens heute in anonymem Privatbesitz in der Schweiz, wurde aber zugunsten der Wissenschaft und der Öffentlichkeit digital zur Verfügung gestellt. Die Damen von Oudenaarde gehören in den Kreis von geistlich lebenden Frauen. Am Ende des Mittelalters suchten verschiedene Menschen neue geistliche Lebensformen. Begüterte Frauen und Männer schlossen sich in den Städten zu Gemeinschaften zusammen, die nach Regeln ähnlich wie in Klöstern lebten, aber nicht die Gelübde ablegen wollten. Häufig übten sie daneben auch ihre bürgerlichen Berufe weiter aus. Es gab begüterte Frauen, die z.B. als Witwen den Kaufmannsbetrieb ihrer verstorbenen Männer weiter führten, daneben aber in einer Gemeinschaft lebten. Es ist gut möglich, dass die Damen von Oudenaarde solche Frauen waren.
Jedenfalls konnten sie es sich leisten, für die persönliche Andacht in ihrem Haus ein eigenes Stundenbuch malen und schreiben zu lassen. Dies war gewissermassen das tägliche Andachtsbuch, aus dem man ähnlich wie in den Klöstern mehrmals täglich Psalmen und Gebete laut vorgelesen und gebetet hat.
In diesem kostbaren Buch findet sich folgende Seite ( siehe Bild! ).
Wir sehen eine recht eigentümlich Zusammenfassung von Karfreitag bis Ostern. Der himmlische Christus, der Auferstandene entsteigt dem Grab. Dahinter und daneben sind sowohl die Werkzeuge seiner Marter wie auch Symbole der Ostergeschichten gesammelt. Der Auferstandene trägt die Wundmale sowie noch immer den Dornenkranz. Doch sein Haupt ist umstrahl von einer Gloriole die zeigt: Er gehört nicht mehr der Welt an, der Auferstandene ist zwar erkennbar Jesus von Nazaret, doch gleichzeitig der Himmlische.
Als Werkzeuge finden sich die Nägel, die Lanze mit der Jesus in die Seite gestochen wurde und Leiter und Zange, mit der man den Leichnam vom Kreuz geholt hat. Vor dem Sarkophag liegen die Würfel und das gewobene Unterkleid, um das die römischen Soldaten würfelten. Rechts daneben die Silberlinge, das Judasgelt. Hinter dem Grab thront auf einer Säule, die den jüdischen Tempel darstellt, der Hahn, der krähte und auf den Verrat des Simon Petrus hinweist. Die Säule ist umrankt von einer Schlange, Zeichen des Teufels und des Bösen. Links unten neben den Würfeln findet sich die Lampe und das Gefäss mit den kostbaren Salben, mit denen die Frauen den Leichnam Christi am Ostermorgen eigentlich hätten behandeln wollen. Vor Schreck haben sie die Lampe und das Alabastergefäss auf dem Friedhof vergessen. Eindrucksvoll sodann ist der „fliegende Stein“ mit rotem Band, der vermutlich das himmlische Geschehen zeigt. Nicht von irdischer Kraft wurde der Deckel des Sarges geöffnet, nein es war Gott selbst, der hier eingegriffen hat.
Ebenso hängen am Querbalken des Kreuzes zwei rote Schlüssel mit dünnen, fast unsichtbaren Fäden. Es mögen die Schlüssel des Todes und der Hölle sein, die Christus nach der Offenbarung nun in die Hände gelegt wurden – es zeigt, dass sein Sterben am Kreuz direkt mit unserer Hoffnung auf das gerechte Urteil Gottes an uns am Ende der Zeiten zusammen hängt.
Die beiden kleinen Schlüssel sind nicht zufällig in der gleichen roten Farbe gemalt, wie die Bewegung des Steins. Wo auf späteren Konfessionsbildern Rot als Farbe des Blutes jeweils die Wirkung der Sakramente bezeugt, so ist hier Rot das Zeichen der Bedeutungsebene für uns. Es ist quasi eine Art „Leuchtschrift“: Was rot ist, hat Bedeutung für dich, Betrachter und Betrachterin! Siehe: Der Stein ist weg. Siehe: Die Schlüssel des Todes und des Himmels gelten nicht mehr! Siehe, der Himmlische ist auferstanden von dem Tod!
Das Andachtsbild der Damen von Oudenaarde versucht bildlich das, was der 1. Petrusbrief mit Worten tut: Es erklärt die Bedeutung von Jesu Tod am Kreuz. Nun mag das heutige Leser immer noch verwirren: Warum muss jemand sterben für mich? Dieses Warum zu beantworten, hat die Theologie immer herausgefordert. Etwas einfacher ist es, vom Ziel her zu denken: Was ergibt sich für uns? Es ergibt sich für uns, dass wir ein Zeichen erhalten, dass hier der Gottessohn wirklich auferstanden ist. Das Zeichen, dass seine Auferstehung auch für uns gilt. Gott macht mit dem Sterben am Kreuz und der Auferstehung ernst mit seinen Versprechen, dass er als Herr über Leben und Tod uns nicht im Tod vergisst, gerade weil er seinen eigenen Sohn aus dem Tod wieder erweckt hat.
Man kann unter diesem Gesichtspunkt das ganze Sammelsurium an Gegenständen als Zeichen für unsere Welt deuten: Unsere ganze Verflochtenheit, unser Alltag, unsere Nöte und Sorgen aber auch unser menschliches Sehnen und Flehen sind in diesem Bild enthalten. Es ist nicht nur ein Bild des Himmlischen, des Gottessohnes, sondern es ist der Gottessohn zusammen mit all dem unpassenden Krimskrams der Welt. Das Andachtsbild ist nicht „aufgeräumt“, es ist nicht „himmlisch“, sondern voller Welt. Sogar die Lampe der Frauen am Grab ist nicht einmal ordentlich ausgemacht und geschlossen worden – dazu war, wie häufig in der Welt, einfach keine Zeit mehr. In Panik sind die Frauen davon gerannt.
Mehr Welt geht in einem Andachtsbild vermutlich nicht. Und auch nicht mehr Heil, das uns Christen und Christinnen verheissen ist.
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