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Meditation zum Sonntag Judika, 29.3.2020

Meditation zum Sonntag Judika am 29. März 2020

Wochenpsalm: Schaffe mir Recht, Gott, und führe meine Sache wider das treulose Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten!

Psalm 43,1

Predigtstelle:

12 Darum hat auch Jesus, um durch sein eigenes Blut das Volk zu heiligen, ausserhalb des Tors gelitten. 13Lasst uns also vor das Lager hinausziehen zu ihm und seine Schmach tragen, 14 denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Hebräerbrief 13,12-14

Liebe Brüder und Schwestern

Würde ich nicht selbst zur Zeit an einem hartnäckigen Husten und einer Erkältung leiden, hätte ich diese Woche bereits im Militärdienst verbringen müssen. So liess man mich aber lieber gleich ganz zuhause in sogenannter Selbstisolation, um nicht noch zusätzlich eine Figur unterhalten zu müssen.

So will ich mir die Zeit nehmen, und statt einer Predigt zumindest eine schriftliche Meditation verfassen, die die Predigtstelle von diesem Sonntag zum Thema haben soll.

Der eine oder andere Leser wird vielleicht leer schlucken: Nicht nur mutet der Anfang sperrig an, dieser Anfang der so gar kein Anfang ist. Blut Jesu und Leiden. Brauchen wir das jetzt?

Und dann der Vers 14: «wir haben hier keine bleibende Stadt,» das tönt wie das sprichwörtliche Damoklesschwert, das in Gestalt des inzwischen allgegenwärtigen Virus über uns schwebt.

Selten wurde man sich in den letzten vierzig Jahren einer Bedrohung so bewusst, wie jetzt.

Dabei ist dem Verfasser des Hebräerbriefes am Schluss seines zugegeben anspruchsvollen Briefes gar nicht bange zumute. Das Kapitel 13, aus dem die wenigen kurzen Verse entnommen sind, ist in der Zürcher Bibel überschrieben mit «Ermahnungen für den Alltag». Das erstaunt jetzt vielleicht. Doch wer das Kapitel lesen mag, der findet ganz praktische Hinweise, die auch gerade bei uns in Situationen, die wir nicht für möglich gehalten hätten, gültig sind:

Es heisst da drin: Die Liebe zu denen, die euch vertraut sind, bleibe. Vergesst nicht die Liebe zu denen, die euch fremd sind, so haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt. (13,1f.)

Ist das nicht vielleicht gerade eine Erfahrung, die wir jetzt da und dort machen: Wir sind faktisch zurück geworfen auf die eigenen vier Wände, in den Kreis der Nächsten. Für sie gilt es jetzt zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen. Und gleichzeitig erfahren viele: Da gibt es Nachbarn, lose Bekannte und gar Unbekannte, die plötzlich wie Engel erscheinen: Der unbekannte Lieferant, die Pöstlerin, der bislang eher spröde Apotheker oder die kauzige Verwaltungsangestelte, die doch das Herz auf dem rechten Fleck hat.

Und in den weiteren Versen rät uns der Hebräerbrief, die Familie, die Ehe, den eigenen kleinen, bekannten Kreis zu achten und zu bewahren: Wir sind auf diese ganz kleinen Netze angewiesen.

Dann folgt der Hinweis auf Christus, der ausserhalb, vor dem Tor der Stadt gelitten hat. Vermutlich dachte der Verfasser dabei an das Sühnopferritual. Der klassische Sündenbock wurde in die Wüste geschickt, damit ihn dort Schakale und Löwen erlegten. Später, zur Zeit der grossen Tempel, mag man die übrig gebliebenen Reste der Opfertiere vor den Stadtmauern verbrannt haben.

Im übertragenen Sinn gilt bis heute, wer draussen ist, wer nicht dazu gehört, ist geächtet. Nur nennen wir das heute Mobbing.

Und der Hebräerbrief erinnert daran, dass gerade Jesus von Nazareth überhaupt keine gesellschaftliche Reputation genossen hat. Er gehörte nicht zur Elite, nicht zu den Angesehenen und Angesagten, er war schon gar nicht das, was heute Prominente sind oder Influencerinnen. Er hatte so gesehen überhaupt keinen Einfluss.

Und doch war er in den Augen Gottes der, der Gemeinschaft aufbaute, Gottes Güte zu den Menschen trug und so das Ende jedes blutigen Opferrituals bezeugte. Dieses Bild ist für den Hebräerbrief zentral – doch uns irritiert es sehr.

Andersherum ist jedem von uns klar, dass alles, was wir tun und lassen, Konsequenzen hat. Dramatisch formuliert: Niemand existiert letztlich, ohne dass wir auf Kosten eines andern leben. Wie auch immer wir uns bemühen, leben heisst Platz einnehmen, heisst mehr oder weniger konsumieren, heisst andern Menschen, Geschöpfen, Tieren Platz weg nehmen.

Das ist zwar banal, nichts desto weniger aber wahr. Jeder Mensch und jedes Geschöpf braucht Ressourcen, Platz, Nahrung. Das zu leugnen ist naiv. Umgekehrt dies anzuerkennen bewahrt aber davor, sich in ebenso naive oder leichtgläubige Auswege zu flüchten. Der Mensch muss konsumieren, genauso wie das Tier, die Pflanze, alles, was ist.

Der Hebräerbrief bringt das zum Ausdruck. Wir haben hier keine bleibende Stadt.

Nichts in der Welt kann das verhindern. Gewiss, wir bemühen uns redlich für möglichst viele von uns das Leben so gut wie möglich zu machen. Das ist richtig, das ist fair und gerecht. Und doch bleibt der Punkt, dass jedes menschliche Leben bedroht und endlich ist. Gerade das erfahren wir jetzt erschreckend direkt. Niemand hätte noch vor knapp einem Monat das zu betonen gewagt. Und doch ist es wahr.

Schwieriger ist für viele, sich unter zukünftigen Stadt etwas vorzustellen. Dürfen wir das? Sollen wir uns ein Jenseits ausmalen? Was meinte wohl Jesus damit?

Es ist eine Binsenwahrheit, dass Voraussagen schwierig sind. Der Scherz besagt, besonders was die Zukunft anbetrifft. Umgekehrt meint vermutlich die Stelle weniger die Zukunft, als den Glauben. Die zukünftige Stadt gilt den Juden wie den frühen Christen als das Bild, für die erlöste Menschheit, die mit Gott und Christus verbunden gemeinsam lebt. Eine Art gigantisches Generationenhaus. Ein Miteinander, wo gerade niemand draussen bleibt, sondern alle dazu gehören.

Dass das zum Teil Utopie ist, ist schon klar. Weniger klar ist, dass jedem Christen und jeder Christin gerade dieses Gemeinsam-Sein als Heil versprochen ist. Es meint nämlich: Allein sein möchte niemand, gemeinsam vermögen wir Vieles.

Gerade dies lehren uns die Zeiten. Glauben wir daran und hoffen wir inständig auf den Segen des lebenspendenden Gottes.

Amen.

Michael Baumann, 28.3.2020

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