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  • AutorenbildMichael Baumann

Meditation zu Palmsonntag am 5. April 2020


Predigtstelle:

Es war aber zwei Tage vor dem Fest des Passa und der ungesäuerten Brote. Und die Hohen Priester und Schriftgelehrten suchten Mittel und Wege, wie sie ihn mit List festnehmen und töten könnten. 2 Sie sagten nämlich: Nicht am Fest, damit kein Aufruhr entsteht im Volk. 3 Als er in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen war und bei Tisch sass, kam eine Frau mit einem Alabastergefäss voll echten, kostbaren Nardenöls; sie zerbrach das Gefäss und goss es ihm über das Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sagten zueinander: Wozu geschah diese Verschwendung des Öls? 5 Dieses Öl hätte man für mehr als dreihundert Denar verkaufen und den Erlös den Armen geben können. Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bringt ihr sie in Verlegenheit? Sie hat eine schöne Tat an mir vollbracht. 7 Arme habt ihr ja allezeit bei euch und könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Was sie vermochte, hat sie getan. Sie hat meinen Leib im Voraus zum Begräbnis gesalbt. 9 Amen, ich sage euch: Wo immer in der ganzen Welt das Evangelium verkündigt wird, da wird auch erzählt werden, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.

Markus 14,1-9

Liebe Brüder und Schwestern

Das Palmsonntagsevangelium von Markus wird bestimmt von Personen, die wir nicht mit Namen oder nicht genau kennen. Und dennoch wird von ihnen seit zweitausend Jahren berichtet. Wer würde in diesen Tagen nicht an all die unzähligen guten Paketboten und Kassiererinnen denken, an die vermumten Angestellten der Spitex und der Spitäler?

Simon der Aussätzige, so heisst der Hausbesitzer, der Jesus und seinen Jüngern sein Haus in den letzten Tagen in Jerusalem zur Verfügung stellt. Aus das speziell: Gewiss wurde Simon geheilt, ob von Jesus selbst? Doch sein Stigma ist geblieben, vielleicht auch die eine oder andere Narbe im Gesicht. Simon der mit der Lepra, heisst es im Griechischen. Im Haus eines, der einst ansteckend war sitzt Jesus also zusammen.

Da erscheint eine namenlose Frau. Sicher war sie Jesu und den Jüngern nicht wirklich unbekannt, aber Markus will ihren Namen nicht verraten. Wir wissen nicht warum. Und sie salbt vor aller Augen und stumm den Kopf Jesu.

Eine Handlung, die ein ganz besonderes Zeichen ist und von niemandem missverstanden werden konnte. Denn ersten waren Salbungen Handlungen von grösster Zärtlichkeit. Man kommt einem andern Menschen nie näher als durch Berührung. Haut berührt Haut. Worte können treffen, Blicke stechen, Menschen können einander verletzen. Aber nichts ist näher und inniger als die gegenseitige Berührung. Alles, was damit zu tun hat, funktioniert nicht auf Distanz. Auch das eine Erfahrung, die wir jetzt schmerzlich machen, wenn es heisst auf liebgewonnenen Besuche beim Frisör, bei der Kosmetikerin, Podologin oder beim Physiotherapeuten und Zahnarzt zu verschieben. Handlungen mit Berührung.

Zweitens: Salbungen gehören im biblischen Zusammenhang zur Königswahl und gleichermassen zum Totenritual. Das mag erstaunen. Könige werden gesalbt, Zeichen für die Wahl Gottes. Von Gott erwählt zu sein verlangt nach einer bestimmten Handlung, nach etwas, das nicht jeder darf und kann.

In kleiner Form sind uns die Segensbitten erhalten geblieben – mit Handauflegen oder prosaischer durch Handschlag werden junge Menschen konfirmiert. An die Konfirmation vor 50 Jahren erinnern wir uns am heutigen Palmsonntag. Auch das sind Formen einer Salbung – Segensbitte und Segensspende für eine besondere Zukunft. Für die besondere Zukunft wurden die Könige Israels gesalbt genauso wie hier Jesus für sein bevorstehendes Werk der Erlösung.

Und ebenso wurden die Verstorbenen gesalbt – als Vorbereitung zur Grablegung. Auch das zeigt ein tiefes Verständnis des Sterbens: Es ist nicht normal. Es ist nicht alltäglich. Wenn Menschen wie jetzt als Folge der schweren Krankheit tausendfach sterben, so ist das wie im Krieg verstörend. Kein Tod ist je normal – und gerade darum soll dem Verstorbenen eine besondere Behandlung angediehen werden. Die Salbung meint nicht nur im übertragenen Sinne, du bist etwas Besonderes. Sondern sie meint auch aus Perspektive der Lebenden ist das Sterben immer das, was ausserordentlich ist. Es sprengt alle Dimensionen, wir können es nicht einordnen. Wenn dann wie jetzt in Italien auch noch alle Formen des Abschiednehmens wegfallen müssen, so wird das Unverständlich noch unverständlicher. Es wird zum Gespenst, zur gestaltlosen Bedrohung, und das ist schlimm.

So wird vielleicht verständlich, warum Jesus recht schroff und abweisend den gutgemeinten, aber dünkelhaften Hinweis der Jünger zurechtweist, man hätte die teure Salbe doch verkaufen und den Ertrag den Armen zukommen lassen können. Hätte man können. Hätte aber nicht viel verändert, wendet der Realist Jesus ein. Es ist das Kreuz des Konjunktivs. Hätte, hätte, Fahrradkette – sagt der Volksmund. Es geht um den Unterschied zwischen wirklicher Tag und netter Erwägung. Die unbekannte Frau tut etwas, die Jünger erwägen bloss. Nichts Gutes, ausser man tut es.

Aber es gibt auch eine Grenze: Die Frau hat das getan, was sie vermochte. Nichts Übermenschliches – sie hat das getan, was sie vermochte. Auch das erinnert an die jetzige Zeit: Menschen tun, was ihnen möglich ist. Das Mögliche ist geboten, nicht das Unmögliche. Menschen vermögen nichts Übermenschliches, uns sind Grenzen gesetzt. Franz von Assisi hat an diesen Realitätssinn erinnert, als er dem geflügelten Wort zufolge riet, wir sollten zuerst das Notwendige tun, dann das Mögliche und so schafften wir womöglich gar das Unmögliche.

Mit dem Tun des Möglichen, dem Notwendigen erreichen Menschen viel. Nicht der Griff nach den Sternen ist heilsam, sondern lediglich das Tun dessen, was in der Situation angemessen und sinnvoll ist – oder zumindest nicht die Verhinderung der guten Tag. Möglicherweise wird ja überhaupt viel mehr Unheil geschaffen in der Welt durch all die professionellen Verhinderer und Bedenkenträgerinnen.

Und: Die Tat der namenlosen Frau gilt als schön. Das ist Markus wichtig. Sie ist nicht bloss gut.

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Häufig hilflos oder tollpatschig, bestens rührend. Die Tat der Frau ist aber schön. Im Griechischen Zusammenhang gilt schön und gut als höchste Auszeichnung. Es ist eine vollendete Tat der Zuneigung zu Jesus. Die Schönheit der Salbung kontrastiert mit dem narbigen Antlitz von Simon. Simon war gewiss nicht mehr schön, er war ein Gezeichneter, von der Krankheit Versehrter. Die Frau und ihre Handlung sind das Gegenteil. Sie sind schön. Und beides gehört hier zusammen, im Haus des versehrten Simon wird an Jesus Schönes getan. Es ist die zärtliche Haltung einer Pflegenden, vielleicht der aufmunternde Blick einer Ärztin oder das Lachen eines spielenden Kindes, das Krankheit und Elend trotzt.

Darum steht für Markus die Salbungserzählung an Palmsonntag im Zentrum.

Palmsonntag, 5.4.2020

Michael Baumann

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