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  • AutorenbildMichael Baumann

Meditation zu Karfreitag

14 Denn die Liebe Christi umgibt uns, und wir sind zu dem Urteil gelangt: Wenn einer für alle gestorben ist, dann sind alle gestorben. 15 Und für alle ist er gestorben, damit die Lebenden nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferweckt worden ist. 16 Darum kennen wir von jetzt an niemanden mehr nach dem Fleisch; auch Christus — sollten wir ihn auf diese Weise gekannt haben — kennen wir jetzt nicht mehr so. 17 Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. 18 Alles aber kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. 19 Denn ich bin gewiss: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet hat. 20 So treten wir nun als Gesandte Christi auf, denn durch uns lässt Gott seine Einladung ergehen. Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Den, der von keiner Sünde wusste, hat er für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm zur Gerechtigkeit Gottes würden.

2. Korinther 5,14ff.


Liebe Brüder und Schwestern

Paulus mag den Korinthern starken Tabak zumuten in diesem Abschnitt, wo er über den Tod Christi, die neue Schöpfung Gottes und die Verfehlungen des Menschen berichtet.

Und in der Tat, viele zeitgenössische Leser haben mit diesen Worten und Formulierungen ihre liebe Mühe. Sie sind widerständig, kompliziert, es ist keine einfache Kost. Aber man kann die Gedanken des Paulus verstehen und so kompliziert sind sie gar nicht, wenn man die eine oder andere Voraussetzung dazu kennt. Das hilft uns auch zum Verstehen von Karfreitag und vor allem: Es bewahrt uns davor, in das Karfreitagsgeschehen Dinge hinein zu lesen, hinein zu geheimnissen und einen kirchlichen Feiertag gewaltsam in die Gegenwart zu transportieren und ihn dabei mehr zu verunstalten, als ihm gerecht zu werden.

Wir müssen bei Paulus zu allererst verstehen: Er denkt von seinem eigenen Ostererlebnis aus. Dieses war die Erscheinung Christi vor Damaskus. Das Damaskus-Erlebnis war für Paulus Ostern. Zuvor kennt er Jesus von Nazareth und die Christen vom Hören-Sagen her.

Nun erscheint ihm Christus: In Wort und Bild, Licht und Ton. Nur ihm, seine Begleiter hören und sehen nichts. Doch Paulus erscheint Christus als der Auferstandene. Als Gottes Sohn. Es gibt nichts, was uns an dieser Darstellung zweifeln lassen sollte. Paulus berichtet dies so und er gehört von Stunde an zu den engsten und direktesten Verkündern von Christus.

Gleichzeitig versteht Paulus die Auferstehung Christi und das Ostergeschehen von Anfang an parallel zur Schöpfung der Welt. Darin zeigt sich Paulus als der gelehrte jüdische Rabbiner. Gott versprach am Anbeginn der Zeiten und immer wieder in der Geschichte mit seinem Volk Israel, dass er zu seiner Schöpfung steht, zu ihr schaut und sie nicht vergisst.

So ist die Auferstehung Christi eigentlich die neue Schöpfung. Es ist die Vollendung, was Gott allen frommen Juden immer schon versprochen hat. In Christus und seiner Auferstehung zeigt sich, was Gott am Ende der Zeiten mit der ganzen Welt, dem ganzen Kosmos und mit uns vorhat.

Drittens ist diese Neuschöpfung etwas anderes, als einfach eine Wiederbelebung eines Toten. Wiederbelebungen und Reanimationen hat es schon in der alten Welt gegeben. Auch Jesus hat Verstorbene und beinahe Tote wieder belebt. Ihnen allen ist bis heute eigen: Auch sie müssen irgendwann sterben.

Wir erinnern uns dabei tragischerweise an Lazarus. Er gilt den Gegnern Jesu als lebendiges Zeichen und wird darum vom bösartigen Mob verfolgt.

Die wirkliche Neuschöpfung und Auferstehung ist aber etwas anderes: Wer aufersteht steht nicht mehr in diesem Leben. Christus, der auferstandene Jesus von Nazareth, ist nicht von dieser Welt. Darum ist Christus für Paulus auch nicht mehr im Fleisch, wie er im Abschnitt den Korinthern schreibt. Die Korinther nämlich dachten, sie könnten die Auferstehung, das Ganz-anders-Sein schon in diesem Leben erhalten. Doch so geht es nicht. In dieser Welt ist die jenseitige Welt nicht verfügbar – ausser für Scharlatane und Zauberer, die die Menschen an der Nase herum führen.

Christus ist nicht mehr in diesem Fleisch, als einziger und erster.

Darum schreibt Paulus, dass jedem von uns gilt: Wenn in dieser Welt das Zelt abgebrochen wird, dann erhalten wir nicht in dieser Welt eine neue Wohnung, sondern eine Wohnung bei Gott (2. Kor 5,1) – und das meint im Himmel.

Die Klammer um den ganzen Abschnitt für den heutigen Karfreitag ist aber der Hinweis auf die Liebe Christi. Sie kommt am Anfang vor und endet am Schluss mit dem Hinweis auf die Gerechtigkeit Gottes. Das ist auslegungsbedürftig und hängt mit dem zusammen, was wir schon gesehen haben.

Denn: Wie beschrieben, ist das Vorbild für Paulus das Alte Testament. Ganz am Anfang der Bibel wird Abraham als der Prototyp des gehorsamen, auf Gott vertrauenden Menschen geschildert. Abraham vertraute vollends auf Gott und Gott rechnete ihm dies als Gerechtigkeit an. Nun ist es aber so, dass die Menschengeschichte davon durchdrungen ist, dass die Menschen oft nicht auf Gott vertrauen. Zum Menschen gehört, dass er auf sich selbst vertrauen will – teils führt das zu Erfolg und Bestätigung – teils zu Niederlage und Schuld.

Es geht bei Paulus um genau dies: Der Drang des Menschen, selbst sein zu wollen und Gott zu vergessen, führt nicht in die lang ersehnte Emanzipation und Selbständigkeit, sondern in Einsamkeit, in Krieg und Rivalität.

Gott will den Menschen daraus befreien. So stellt Paulus Christus als denjenigen dar, der stellvertretend für alle Menschen die äusserste Gottesferne durchlebt. Der Schrei Christi am Kreuz: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» ist nicht einfach ein passendes Zitat aus Psalm 22, sondern er verkörpert genau den Menschen, der Gott verlassen ist. Noch im Tod und in der Ferne will er nicht wissen, dass er Gott verlassen hat und unterstellt dies Gott.

Wenn Christus am Kreuz dies durchleidet, so nimmt er damit – Martin Luther hat das in seinem Kommentar zum Galaterbrief so klar gezeigt – alle unsere eigenen Verfehlungen und gescheiterten Emanzipationsversuche auf sich.

Christus wird, so nannte das Luther, tatsächlich schuldig für all das, was uns misslingt: «Wir aber müssen Christus einwickeln und erkennen, dass er eingewickelt ist wie ein Fleisch und Blut, so auch in unsere Sünden, den Fluch und alle unsere Übel.» (WA 40/I, 434,21ff.)

Damit wird aber etwas völlig neues gesagt: Eigentlich kommt Christus uns an Karfreitag so nahe, wie niemand sonst. Er wird zu uns – Christus wird du. Und die Auferstehung, von der Paulus wie kein anderer Jünger so direkt und persönlich überzeugt wurde, diese Auferstehung und Neuschöpfung gilt jedem von uns, weil Christus die ganze Gottesferne und Distanz, die uns Menschen immer wieder befällt und heimsucht, ausgehalten hat.

Hier ist die Rede passend: An unserer Stelle. An unserer Stelle trägt Christus all das, was die Menschen von Gott unterscheidet und uns auf der einen Seite unverkennbar, auf der anderen Seite derart fehlbar und erlösungsbedürftig macht.

So konnte die alte reformierte Theologie immer davon sprechen, dass Karfreitag der wichtigste und höchste Feiertag ist – und sich gleich etwas von der römischen Kirche absetzen, die gemeinhin Ostern besonders betont. Das sind aber Kleinigkeiten. Wichtig ist: Tatsächlich sieht Paulus von Ostern her auf Karfreitag und weiss: Was hier geschah, ist endgültig und immerwährend. Wir werden dank Karfreitag zu Abraham.




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