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AutorenbildMichael Baumann

Kirche und Corona - eine selbstkritische Besinnung

Aktualisiert: 27. Juli 2020

Entgegnung zum Beitrag von Christoph Sigrist, «Die Welt ist das ‘Home-Office’ Gottes» in der NZZ vom 17.7.2020


Der gut gemeinte Beitrag von Christoph Sigrist zu den mannigfaltigen Bemühungen von kirchlicher Seite während der Corona-Krise verlangt nach einem Einspruch. Zwar ist der Verweis richtig, dass sich die christliche Kirche in der Welt bewahrheiten und bewähren muss, ansonsten sie nur tönernes Erz und Blendwerk wäre. Doch muss man sich selbstkritisch fragen: Hat sich Kirche in der Corona-Zeit wirklich bewährt?

Zuerst: In der Tat haben sich v.a. protestantische Kirchenleitungen während der Corona-Zeit mehr als still gehalten. Sie haben sich – wenn sie nicht durch Interna und Peinlichkeiten blockiert waren – als treu ergebene Untertanen der Obrigkeit verstanden. Das mag der Unsicherheit geschuldet gewesen sein, macht in solchen Zeiten aber keinen Staat. Wer schweigt, wird eben nicht gehört, auch von denen nicht, die gerne Unterstützung und Hoffnungsvolles gehört hätten. Kirche muss aber zuerst gehört werden und sie muss es wagen, auch in stürmischen Zeiten das Evangelium von Trost und Hoffnung zu verkünden.

Zweitens: Ausser von ganz wenigen Mutigen, wie den beiden theologischen Mitarbeitern der EKS, dem früheren Kirchenbund, hat sich theologisch niemand von den Kirchenfunktionären der Landeskirchen zur Corona-Krise geäussert. Da waren die freikirchlichen Theologen mutiger und scheuten das sowohl heisse wie auch etwas plumpe Eisen von Pro und Kontra des Virus als «Gottesstrafe» nicht. Auch hier gilt: Vornehmes Schweigen heisst eben auch, dass die Fragen als nicht mehr relevant erachtet werden. Wer aber über alte Theologoumena die Nase rümpft und den Kopf dünkelhaft schüttelt, macht sich vielleicht selbst überflüssig. Dabei hätte die Bibel unendlich viel zum Thema Krankheit und Seuche zu sagen und das Volk Israel selbst hatte eine 40jährige Wüstenzeit zu ertragen. Doch drei Monate Lockdown schnüren uns die Kehle zu wie den verlassenen und siechen Psalmisten.

Drittens: Christoph Sigrist verweist auf Zwingli, der in Zeiten der Pestnot mutig nach Zürich zurück gekehrt ist und sich der Kranken annahm, dabei selbst an der Pest erkrankte und beinahe ihr Opfer wurde. Ein Drittel der Zürcher fand damals einen wüsten und ekligen Tod. Das Beispiel ist gut und anständig, doch gerade heute untauglich: Denn die Pfarrer wurden grösstenteils nicht an die Krankenbetten gelassen und auch die Grossmünsterpfarrer wurden zum Glück nicht krank. Der Kirchenrat verhängte de facto einen Besuchsstopp und riet zur «Suche nach Alternativen». Wie kann man bloss? Keine der Kirchenleitungen hat obrigkeitlich protestiert, als die Alten und Kranken eingeschlossen wurden, und wo doch Seelsorger in Kliniken ihre Arbeit weiter verrichten durften, war das den Klinkdirektorien zu verdanken und nicht der Kirchenleitung – die ja vornehm schwieg.

Viertens: Das Grossmünsterpfarramt verweist stolz und mehrfach darauf, dass Kirche stattgefunden habe. Digital, in der Ferne und mit Essenspaketen an die Bedürftigen. Doch die grösste und reichste aller reformierten Gemeinden in der Welt, der Zürcher Stadtverband, hat die kleinen Betriebe vielleicht vergessen. Warum hat man neben den Bedürftigen nicht auch an die Coiffeursalons gedacht, die Wirtinnen und Künstler? Das eine oder andere Milliönchen (frei nach Duttweiler) wäre da vielleicht auch zu spenden gewesen oder hätte in einem Fonds für KMUs auch reichen Segen gebracht. Wir erinnern daran, dass die Zürcher Landeskirche seit Jahren Millionen auf die hohe Kante legt und kaum je negative Jahresabschlüsse aufweist. Hier wäre mutigeres Handeln nach Zwingli Not gewesen, statt nachträglich sich selbst auf die Schultern zu klopfen und ostentativ zu jubeln: Kirche fand statt.

Fünftens: Man hebt stolz hervor, dass Kirchen digitale erste Schritte gewagt habe und sich dem modernen Zeitgeist öffne. Doch wenn die Corona-Krise etwas zeigte, dann die Beschränktheit des Digitalen. Denn der Mensch ist gerade nicht digital-virtuell, sondern materiell und körperlich. Ein winziges reales Virus lehrt uns das. Es ist wirklich, nicht digital. Die Medizin ist auch körperlich und lässt sich wohl noch auf lange Zeit hin nicht wirklich digitalisieren – alles andere ist Science Fiction. Es geht um Körper und Säfte. Menschen müssen sich berühren, wahrnehmen. Auch Sport und Spiel sind körperlich, Geisterspiele sind nichts als öde. Und wenn Kirche nun behauptet, Gottesdienste und Abendmahl, Feier und Gotteslob liesse sich digitalisieren, so ist das gelinde gesagt gewagt wenn nicht sogar dumm. Man braucht ein gehöriges Mass an Abstraktionsvermögen, Gottesdienste derart zu entkörperlichen, dass sie im digitalen Raum stattfinden können. Selbst das Konzept der visuellen Teilnahme an der Eucharistie funktioniert nur für Aficionados hochkatholischer Theologie. Gerade die nicht stattfindenden Trauerfeiern in Italien haben doch gezeigt: Menschen leiden darunter, wenn sie nicht Abschied nehmen können, wenn das nicht in Gemeinschaft und wirklich geschieht. Wer nun statt dessen dem digitalen Abendmahl das Wort redet und einsam trällernde Pfarrerinnen auf Youtube als Fortschritt sieht, macht sich lächerlich. Die hilflosen Kartonnamen an Kirchenbänken sind gleichermassen schräg wie die Pappnasen auf den Stadionrängen. Sie sind kein Gewinn sondern hilfloses Schreien: Das Virus hat uns gezeigt, wie körperlich und damit wie anfällig wir eben sind. Das eine bedingt das andere und es gibt kein Entrinnen. Hier hat natürlich Sigirist recht, wenn er auf Endlichkeit und Gottesblindheit (nach Ingolf Dalferth) verweist.

Nein, es ist und bleibt zu konstatieren, dass die Kirchen trotz vielen Versuchen und ehrlichem Bemühen eigentlich alle versagt haben, wie andere Bereiche des öffentlichen Lebens übrigens auch. Es ist auch nicht einzusehen, warum sie es besser hätten tun können, als andere Bereich des öffentlichen Lebens, als Theater und Kunstbetriebe beispielsweise. Wir haben grösstenteils versagt und bloss überlebt und als Konsequenz nach einem Akt der Gnade müssten wir uns jetzt Gedanken machen, wie man das nächste Mal nicht systemirrelevant bleibt. Möglicherweise bleibt uns nicht mehr viel Zeit und Zwinglis weiser Satz aus dem Pestlied ist richtig: «Din haf bin ich. Mach gantz ald brich» ― «Dein Krug bin ich. Mach ihn ganz oder brich ihn entzwei.»

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