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AutorenbildMichael Baumann

Ernst Bloch und die Angst des Menschen vor dem Tod - ein Art Passionsandacht

In zweiter Auflage 1959, also vor mehr als sechzig Jahren (!) schrieb der marxistische und bekennend atheistische Philosoph Ernst Bloch sein Werk "Das Prinzip Hoffnung".

Bloch macht viele messerscharfe Beobachtungen. Eine gilt der modernen Sichtweise auf den Tod und die mögliche Hoffnung auf ein Leben jenseits des irdischen. So stellt Bloch schon Mitte der 50er Jahre fest, der zeitgenössische Mensch lebe erstaunlich und überraschend gut ohne die Beunruhigung durch die Frage nach dem Tod.

Vor sechzig Jahren also - das Wirtschaftswunder nach der beinahe-Apokalypse des Zweiten Weltkriegs war kaum angebrochen und die atomare Bedrohung durch den Kalten Krieg war mit Händen zu greifen - vor sechzig Jahren also war das Diesseits den Menschen derart genügend und klar, dass dessen Begrenzung durch den Tod nurmehr wenige beunruhigen konnte.

Mit wohligem Schauer denken vielleicht die einen an die pastellfarbigen Fotografien in Elisabeth Fülschers Kochbuch, wo ab den 50er und 60er Jahren in Farbfotografien Hors d'Oeuvre und Bratenplatten die Lust des Tafelns nach der Kargheit der Kriegsjahre zelebrierten. Und wie mit den farbigen Genusstafeln das Leben zurückkehrte, so verschwand gut zehn Jahre nach dem grossen Krieg, nach Holocaust und Faschismus die existentielle Bedrohung vor dem unsinnigen, willkürlichen und grossen Sterben.

Ernst Bloch mag sich darüber zurecht gewundert haben. Er notierte in seinem Hauptwerk aber auch die Vermutung, dass der Tod vielleicht die Menschen darum nicht sehr beunruhige, weil sie allesamt noch von der christlichen Hoffnung lebten, die früher die Menschen getragen hat. Zwar sei ihnen diese Hoffnung nicht mehr bekannt, ja sie stritten sie vollends ab. Doch Wegblicken und Oberflächlichkeit sind keine Befreiung. Im Unterbewusstsein (so Bloch) lebten die "früheren, satten Wunschbilder fort" und schützen den modernen Menschen vor dem unerbittlichen Sturz in den Schlund des Todes. "Er lebt von früheren Hoffnungen und dem Halt, den sie einmal verlieben hatten."

Und sechzig Jahre später?

Man vermutlich nicht davon reden, dass sich heute mehr Menschen auf die christliche Auferstehungshoffnung stützen, als Mitte des 20. Jahrhunderts. Entkirchlichung, das Schwinden christlicher Glaubensüberzeugung, der Wohlstand und der wirtschaftliche Erfolg haben dazu beigetragen. Auch das Verstummen der Kirchen und das Verlöschen der Theologie - wie Hanno Helbling einst bemerkte - tragen Mitschuld. Der grosse Theologe Wolfhart Pannenberg schrieb noch in den 70er Jahren, ob die Menschen auf ein Leben nach dem Tod hofften entscheide sich daran, ob es etwas zu hoffen gäbe und wie diese Hoffnungsbilder aussähen. In der Tat: Wenn wir in der Kirche bloss noch davon sprechen, dass die Verstorbenen amorph und gestaltlos in der Liebe Gottes aufgehen, wenn die Kirche und die Pfarrerinnen das Wort Auferstehung nicht mehr in den Mund nehmen und Jesu Tod am Kreuz bestenfalls als Sinnbild für die Gewalt in der Welt steht, ja dann wirkt die Hoffnung blass.

Das Neue Testament war da anders überzeugt. Da ist die Rede vom Tod Christi für uns. Und es ist die Rede von der Auferstehung Christi, der gewiss den Jüngern und Zeugen erschienen ist. Gewiss liefert das Neue Testament keinen naturwissenschaftlichen Beweis, das ist auch nicht nötig. Das Neue Testament lebt davon, dass nichts anderes die Christen und ersten Glaubenszeuginnen derart bewegt und überzeugt hat, wie die Auferstehung Jesu von Nazareth von den Toten und die Hoffnung, dass am Ende der Zeiten dies jedem einzelnen Menschen versprochen ist.

Natürlich tut das Neue Testament dies in Bilder, symbolisch. Aber dass Jesu Sterben für uns gerade die Bedingung der Möglichkeit unserer eigenen Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ist, das ist dem Neuen Testament nicht zu nehmen. Es sei denn, man mache es zu einer billigen Wohlfühlreligion. Wie auch immer man das Sterben Jesu deutet, als Strafe, Preis, Aushalten des Todes oder tiefste Gottferne - nichts kann darüber hinweg deuten, dass an diesem Tod für uns die Hoffnung auf ein Leben und Auferstehung zu Gott hin hängt. Vielleicht gelänge es bildhaft, dieser Tradition nachzuspüren in den Tagen und Wochen, wo Menschen im Gesundheitswesen ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen, um andere zu retten? Hier haben wir faktisch Menschen, die ihr Leben für das Leben anderer geben. Warum tut sich die Kirche so schwer damit, dies in ihrer eigenen Tradition und in ihren Schriften zu sehen?


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